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Wie die Klimakrise indigene Völker bedroht
Aug. 09, 2019

Wie die Klimakrise indigene Völker bedroht

Von Environmental Justice Foundation Deutschland

Die Klimakrise trifft diejenigen am härtesten, die den kleinsten CO2-Fußabdruck haben. Weil sich Regionen und Jahreszeiten auf ungewohnte Weise verändern, bedroht sie die Menschen, die besonders eng mit der Natur verbunden sind, in besonderer Weise.

In Sápmi – einem Gebiet von fast 390.000 Quadratkilometern, das die nördlichsten Teile Norwegens, Schwedens, Finnlands und Russlands umfasst – leben die Sámi (auch: Samen) seit jeher im Einklang mit ihren Rentierherden. Die Veränderungen, die sie in den letzten dreißig Jahren beobachten, sind verheerend.

Wärmere Temperaturen im Winter führen dazu, dass Wanderwege über Seen und Flüsse unpassierbar werden. Auf den Weideflächen hat sich durch stärkere Niederschläge eine dicke Eisdecke gebildet. Sie hält die dort lebenden Rentiere davon ab, die darunter liegenden Flechten zu fressen. Allein im Jahr 2013 verendeten in der russischen Arktisregion rund 61.000 Rentiere an den Folgen dieser Umstände.

Traditionelle Lebensweisen unter Druck

Der Anstieg der Rentier-Todesfälle ist für die Samen auf wirtschaftlicher, kultureller und sogar auf existenzieller Ebene zu spüren. Denn die Zugehörigkeit zu einer Hirten-Gemeinschaft bildet die Grundlage ihrer Rechte als Indigene.

Die schwedischen Sámi waren in der Vergangenheit Opfer der Politik der Assimilation und der Segregation der Kolonialzeit: Ihnen war es verboten, in Schulen ihre eigene Sprache zu sprechen und ihre traditionelle Lebensweise zu praktizieren. Jetzt bringt die Klimakrise sie erneut in Gefahr, diesmal in zweierlei Hinsicht, denn ihr Land kann zunehmend weder bewirtschaftet noch bewohnt werden.

Maxida Märak

Maxida Märak, Musikerin & Aktivistin

Die 30-jährige Maxida Märak gehört zu einer neuen Generation indigener Künstler*innen und Aktivist*innen, die ihre Medienpräsenz als Plattform nutzen, um die Öffentlichkeit über klimapolitische Probleme ihrer Gemeinden zu informieren.

Ihre Sicht auf die Welt ist in besonderer Weise genauso einzigartig wie vielfältig: Trotz ausverkaufter Tourneen und über 34.000 Follower*innen auf Instagram ist sie nach wie vor eng mit der Kultur, in der sie aufgewachsen ist, verbunden. Sie erinnert sich noch an ganz andere Zeiten: Zeiten, in denen man fünf oder sechs Wochen in den Bergen verbrachte – ohne Strom und ohne Internet.

Gesellschaftliche Entwicklungen und Bildung haben Maxidas Generation neue Türen geöffnet. Sie sind heute als Anwält*innen, Journalist*innen, Wissenschaftler*innen und Künstler*innen tätig. Heute, so Maxida, arbeiten nur 10% der samischen Bevölkerung in der Rentierzucht – ein tragischer Befund. Denn das Hirtendasein und das Verhältnis der Samen zu ihrem Land sind von zentraler Bedeutung für den Fortbestand als eigenständiges Volk, für ihre einzigartige Kultur und Lebensweise.

Ein Kampf gegen das Verschwinden

Das Instandhalten alter Pfade hat eine besondere Bedeutung für indigene Gemeinschaften. Die Verbindung zu ihrer Erde ist für sie eine Quelle der Widerstandsfähigkeit und der Erinnerung, des Überlebens und ihrer Kultur.

Wie ein Artikel des Magazins National Geographic feststellt, spiegelt die Sprache der Sámi selbst eine starke Verbindung zwischen dem Hüten von Tieren und wichtigen Traditionen wider: Das Wort für „Herde“ ist „eallu“ – das Wort für „Leben“ ist „eallin“. Für „Schnee“ gibt es 400 verschiedene Wörter. Doch diese Beschreibungen korrespondieren längst nicht mehr mit der ungewöhnlichen Realität von heute. Die Klimakrise ist zu einem Kampf gegen die Auslöschung dieser kulturellen Besonderheiten geworden.

Die lebensverändernden Auswirkungen der Erderhitzung werden für die Samen durch die örtlichen fossilen Kraftwerke verstärkt. Das Volk ist Bergbau-, Öl-, Gas- und Forstunternehmen ausgesetzt, die ihr Land für sich beanspruchen und in ihre natürlichen Lebensräume eingreifen. Dies erschwert es ihnen, sich an äußerliche Veränderungen anzupassen und bessere Sommer-Weideflächen zu nutzen.

Und dann ist da noch der Industrieabfall, der in unberührte Fjorde geworfen oder in die Luft geblasen wird: Kryokonit zum Beispiel, ein giftiger schwarzer Staub, hemmt das Wachstum der Flechten, wenn er auf Schnee fällt.

Arctic Sunrise Slideshow Website Resized

Die Zerstörung des Sápmi-Landes durch rücksichtslose Umweltverschmutzung ist gezeichnet von größter Ungerechtigkeit: Denn die Sámi waren noch nie darauf aus, Profit zu generieren. „Unser Wunsch ist niemals Geld. Unser Ziel ist es, dass sich alles in einem Kreislauf befindet. Wenn Du merkst, dass das nicht mehr funktioniert, stimmt etwas nicht. Und das spüren wir jetzt“, erzählt Maxida.

Eine Botschaft der Hoffnung

Durch den Aufstieg ihrer Generation in einflussreiche Positionen und damit in ihre Rolle als Entscheidungsträger*innen sieht Maxida eine Chance für ihr Volk.

Die Berücksichtigung indigener Gemeinschaften in politischen Entscheidungsprozessen ist von größter Bedeutung. Sie kennen die Orte, von denen Umwelt- und Naturschutzorganisationen sprechen. Die Worte von Maxida sind vor allem ein Aufruf zum Handeln:

"Es gibt nur wenige Orte auf der Welt, an denen der Boden und das Land und das Wasser so erhalten ist, wie hier. Ich kann nicht verstehen, dass die Menschen keinen Wert darauf legen. Für mich ist das verrückt. In dreißig Jahren werden sie sich fragen: Warum hast Du nichts getan? Die Generation meiner Tochter wird fragen: Warum hast Du das alles nicht gerettet?"