Von Pradeep Singh, Fellow am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit - Helmholtz-Zentrum Potsdam
Neben dem wachsenden Interesse einiger weniger, Mineralien aus dem Tiefseeboden abzubauen, wächst auch der Widerstand gegen die Industrie. Viele lehnen die Philosophie hinter Tiefseebergbau ab und rufen angesichts der enormen Ungewissheiten und Risiken, die mit dem Vorhaben verbunden sind, zu größerer Umsicht auf. Die Umweltauswirkungen könnten weitreichend und in menschlichen Zeitspannen gerechnet unumkehrbar sein, und es gibt auch andere ernsthafte Bedenken, die von der Gerechtigkeit über Haftung bis hin zu Transparenz und Rechenschaftspflicht reichen.
Im UN-Seerechtsübereinkommen (UNCLOS) von 1982 befindet sich der Rechtsrahmen, der menschliche Tätigkeiten auf See – wie auch Bergbauaktivitäten – die in Meeresbodengebieten in nationaler Gerichtsbarkeit und darüber hinaus durchgeführt werden, reguliert. Nach internationalem Recht sind die Staaten dazu verpflichtet, die Meeresumwelt zu schützen und dafür zu sorgen, dass Aktivitäten auf See, die unter ihrer Gerichtsbarkeit oder Kontrolle geschehen, kein unzumutbares Maß an Schaden verursachen.
Mehrere Länder haben bereits Interesse an Tiefseebergbau am Kontinentalsockel unter nationaler Gerichtsbarkeit bekundet – darunter die Cookinseln, Japan und seit kurzem auch Norwegen – eine kommerzielle Ausbeutung steht jedoch noch aus. Doch auch in diesen Ländern wächst der Widerstand, und bisherige Versuche, Tiefseebergbau unter nationaler Gerichtsbarkeit zu verwirklichen, sind gescheitert – so zum Beispiel in Papua-Neuguinea, wo ein Bergbauvorhaben scheiterte und das Land verschuldete; oder in Neuseeland, wo Gerichte etwaige Bestrebungen aufhielten.
Auch wenn die Küstenstaaten hoheitliche Rechte zur Erkundung und Ausbeutung von Mineralien am Meeresboden haben, sind diese Rechte nicht absolut. Die Staaten müssen ihre nationalen Gesetze und Vorschriften sowie ihre Verpflichtungen nach internationalem Recht und regionalen Vereinbarungen einhalten. Die Regierungen von Küstenstaaten, die Tiefseebergbau in ihren Hoheitsgebieten erlauben wollen, können und müssen für solche Entscheidungen zur Rechenschaft gezogen werden, sowohl im nationalen Rahmen als auch gegenüber der internationalen Gemeinschaft. In jedem Fall dürfen sich diese Staaten, die trotz der überwältigenden Beweise über die Risiken und trotz der eindeutigen Warnungen der Wissenschaft, für Tiefseebergbau plädieren, nicht als Verfechter der Meere ausgeben.
In jedem Fall dürfen sich diese Staaten, die trotz der überwältigenden Beweise über die Risiken und trotz der eindeutigen Warnungen der Wissenschaft, für Tiefseebergbau plädieren, nicht als Verfechter der Meere ausgeben.
Pradeep Singh
Abgesehen vom Interesse an den Bodenschätzen der Tiefsee in Gebieten, die unter nationaler Gerichtsbarkeit stehen, wird derzeit auch der Abbau von Bodenschätzen auf dem internationalen Meeresboden vorangetrieben. Die dort vorkommenden Bodenschätze sind durch UNCLOS als gemeinsames Erbe der Menschheit ausgewiesen und fallen in den Zuständigkeitsbereich einer multilateralen Organisation, die im Namen und zum Nutzen der gesamten Menschheit handeln soll – der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA).
Angeführt wird dieser Vorstoß von dem Inselstaat Nauru, der sich auf eine Sonderklausel beruft und die Behörde dazu aufforderte, Vorschriften für die Ausbeutung bis zum 9. Juli 2023 festzulegen. Dies geschieht im Namen eines lokal registrierten Unternehmens namens Nauru Ocean Resources Inc. (NORI), das gleichzeitig eine hundertprozentige Tochtergesellschaft des im Ausland ansässigen Unternehmens The Metals Company (TMC) ist.
Obwohl die Verhandlungen derzeit im 36-köpfigen Rat der Behörde stattfinden, ist die Ausarbeitung von Vorschriften für den Abbau auch eine Angelegenheit, die die Versammlung betrifft. Die Versammlung ist das oberste Organ der Behörde, in dem alle Mitgliedsstaaten (168 Länder und die EU) vertreten sind. Während der Rat die Verordnungen in erster Instanz aushandelt und annimmt, entscheidet und verabschiedet die Versammlung über die endgültigen Verordnungen.
Auch wenn der Rat angenommenen Verordnungen bis zur Genehmigung durch die Versammlung bereits vorläufig anwenden kann, sollen die vom Rat getroffenen Entscheidungen „die Interessen aller Mitglieder der Behörde vertreten" (Abschnitt 3, Absatz 5 des Anhangs zum Übereinkommen von 1994). Tatsächlich wird es wohl kaum zu einer Situation kommen, in der der Rat den Abbau genehmigt, während die Versammlung der Ansicht ist, dass das Regelwerk noch nicht fertig ist.
Während der Rat exekutive Entscheidungen trifft und die konkrete Vorgehensweise der Behörde entwickelt, übt die Versammlung die volle Aufsicht über die Arbeit der Behörde aus, wobei alle anderen Hauptorgane ihr gegenüber rechenschaftspflichtig sind (Artikel 160 Absatz 1 des Seerechtsübereinkommens). Die Versammlung ist auch das Organ, das für die Festlegung der Prioritäten und die Ausrichtung der Behörde verantwortlich ist, unter anderem dadurch, dass sie die allgemeinen Leitsätze (general policy) festlegt. Die Versammlung kann die allgemeine Ausrichtung der Behörde in Zusammenarbeit mit dem Rat festlegen (Abschnitt 3 Absatz 1 des Übereinkommens von 1994), und bei der Entscheidung über Angelegenheiten mit geteilter Zuständigkeit berücksichtigt die Versammlung alle Empfehlungen des Rates (Abschnitt 3 Absatz 4 des Übereinkommens von 1994).
Interessanterweise hat die Versammlung in der Vergangenheit bei der Entwicklung von Maßnahmen, die allgemeinen Leitsätze entsprechen, den Rat nicht aktiv in den Entwicklungsprozess einbezogen. Ein erstes Beispiel ist die Entwicklung des fünfjährigen Strategieplans (2019-2023) der Behörde, bei dem es sich zweifelsohne um ein politisches Instrument allgemeiner Art handelt. Dieser wurde ausschließlich in der Versammlung erörtert. Da die Mitglieder des Rates auch Teil der Versammlung sind, obliegt es eben diesen Mitgliedstaaten, die Meinung des Rates einzuholen, wenn die Versammlung sich mit einer allgemeinen Politik befasst und wenn sie es für notwendig erachten. Die Angelegenheit geht dann zur gesonderten Prüfung an den Rat.
Neueste wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen das mögliche Ausmaß der potenziellen Auswirkungen von Tiefseebergbau auf die Meeresumwelt sowie auf die Gesellschaft und das menschliche Wohlergehen. Es kommen immer mehr Bedenken auf, und es scheint ratsam, zum jetzigen Zeitpunkt Zurückhaltung zu zeigen. Staaten und andere Akteure sollten ihre Bemühungen verstärken, die Wissenslücken über die Tiefsee zu schließen, und in der Zwischenzeit Alternativen zum Tiefseebergbau identifizieren und fördern.
Eine große und wachsende Zahl von Mitgliedstaaten, zwischenstaatlichen Institutionen, Finanzinstitutionen, wissenschaftlichen Gruppen, Vertreter*innen der Zivilgesellschaft, NGOs und weitere fordern ein Moratorium für Tiefseebergbau oder drängen zumindest darauf, den Beginn der Abbauaktivitäten zu stoppen. Der Rat hat sich auf seiner letzten Tagung im März 2023 darauf verständigt, dass kommerzielle Ausbeutungstätigkeiten nicht stattfinden sollten, solange kein Regelwerk existiert. Die Versammlung sollte diese Auffassung nun durch einen allgemeinen Leitsatz der Behörde bekräftigen und idealerweise die Bedingungen weiter ausarbeiten, unter denen die Behörde eine künftige Genehmigung von Ausbeutungstätigkeiten in Betracht ziehen könnte.
Zu diesen Bedingungen sollte neben einem Konsens über solide Vorschriften auch die Notwendigkeit gehören, Wissenslücken durch meereswissenschaftliche Forschung zu schließen, eine übergreifende Umweltstrategie (mit Zielen, Vorgaben und Schwellenwerten) sowie eine Strategie zur Einhaltung und Durchsetzung der Vorschriften zu entwickeln. Zunächst müssen die erforderlichen Normen und Leitlinien sowie ein Mechanismus für eine gerechte Gewinnverteilung festgelegt werden.
Es kann wohl als Pflichtverletzung seitens der Staaten angesehen werden, wenn sie jetzt nicht handeln und sich klar dafür positionieren, dass sie solche Aktivitäten vorerst nicht zulassen werden.
Pradeep Singh
Obgleich Staaten das Recht haben, einen Antrag bei der Behörde zu stellen, gibt es keinen absoluten Anspruch, dass Bergbauaktivitäten stattfinden. Es ist schlichtweg inakzeptabel, dass die Behörde in die Enge getrieben wird, um Bergbauaktivitäten aufgrund privater Bergbauinteressen zu genehmigen, insbesondere wenn es keine gesetzlichen Regelungen gibt. Es kann wohl als Pflichtverletzung seitens der Staaten angesehen werden, wenn sie jetzt nicht handeln und sich klar dafür positionieren, dass sie solche Aktivitäten vorerst nicht zulassen werden.
Die jüngsten Erfolge der internationalen Gemeinschaft bei der Verabschiedung eines neuen Hochseeabkommens und des globalen Abkommens über die biologische Vielfalt von Kunming und Montreal sind wichtige Wegweiser. Ebenso sollte die internationale Gemeinschaft eine entschlossene Haltung gegenüber allen Interessenbekundungen einnehmen, die darauf abzielen, den Meeresboden in Gebieten unter nationaler Gerichtsbarkeit auszubeuten. Außerdem sollte sie jede Anstrengung unternehmen, die Länder, die versucht sind, solche gefährlichen Aktivitäten aufzunehmen, aufzuhalten. Der Ozean ist bereits vielen Gefahren ausgesetzt, und im tückischen Fall des Tiefseebergbaus sollten wir eindeutig verantwortungsvoll handeln und noch einmal nachdenken, bevor wir ihn zulassen.
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