Ungenaue Meldungen über Fangmengen zuzulassen, gefährdet die Fischerei und schadet dem Ansehen der EU
Die Legalisierung falscher Fangmeldungen gefährdet die Fischerei und untergräbt die Glaubwürdigkeit der EU, wenn sie sich weltweit für eine nachhaltige Fischerei einsetzt, schreiben Steve Trent und Stella Nemecky.
Steve Trent ist Geschäftsführer (CEO) und Gründer der Environmental Justice Foundation; Stella Nemecky ist Senior Policy Advisor EU Fisheries bei WWF Deutschland
Ohne zuverlässige Fangdaten kann die Fischerei nicht nachhaltig bewirtschaftet werden. Es ist unmöglich, wirksame Quoten festzulegen und die Gesundheit von Fischpopulationen zu beurteilen, wenn Fangzahlen unbekannt oder ungenau sind. Dieser wesentliche Grundsatz sollte unmittelbar einleuchtend sein.
Dennoch hat sich das Europäische Parlament kürzlich dafür ausgesprochen, die sogenannte Toleranzmarge für ungenaue Meldungen so weit auszudehnen, dass bis zu 40 % der Fänge – bei Thunfisch sogar bis zu 50 % – straffrei aus den offiziellen Aufzeichnungen gestrichen werden können.
Das bedeutet, dass Millionen von Tonnen an Fisch unregistriert bleiben könnten – eine Menge, die potentiell den Unterschied zwischen gesunden, florierenden Beständen und einem drastischen Einbruch der Populationen machen kann.
Toleranz der Zerstörung
Ein Vorschlag, der derzeit geprüft wird, sieht vor, die Toleranzmarge von derzeit 10 % auf 20 % zu erhöhen. Wir wissen jedoch, dass Schiffsbetreiber bereits 10 % der Marge in betrügerischer Absicht verdoppeln können. Es gibt also keinen Grund, zu glauben, dass dieses Vorgehen nicht auch mit einer höheren Marge möglich sein sollte – so würden aus 20 % schließlich 40 %.
Folgendes Beispiel zeigt, wie dies passieren kann: Auf den meisten Fischereischiffen können Fischer ihre Fänge vor der Anlandung präzise schätzen. Bei 5.500 Tonnen Fisch an Bord kann ein Kapitän 5.000 Tonnen in das Logbuch eintragen. Eine Überprüfung würde zeigen, dass dies innerhalb der 10 %-Marge liegt.
Nur sehr wenige Anlandungen werden allerdings tatsächlich von den Behörden kontrolliert. Das Wiegen erfolgt häufig durch die Industrie selbst. Wird das Gewicht dann mit 4.500 Tonnen angegeben, so liegt es immer noch innerhalb der 10 %-Marke der Fangmenge aus dem Logbuch. Die Zahlen stimmen auf dem Papier, weitere Untersuchungen sind nicht nötig. Das Schiff kann dennoch tausende zusätzliche Tonnen Fisch angelandet haben, die nicht von seiner Quote abgezogen werden.
Und damit enden die Möglichkeiten für Falschmeldungen nicht. Letztes Jahr schlug der Europarat nach intensiver Lobbyarbeit von Industrieverbänden – insbesondere der französischen und spanischen Thunfischflotten, die im Indischen Ozean fischen – eine Änderung der Gesetzgebung vor, sodass als „morphologisch ähnlich“ eingestufte Arten auf legale Weise als „austauschbar“ gemeldet werden könnten.
Mit anderen Worten: Ein Fang von zwei ähnlich aussehenden, aber völlig unterschiedlichen Arten wie dem jungen Gelbflossenthunfisch (derzeit im indischen Ozean überfischt) und dem Großaugenthunfisch könnte straffrei im umgekehrten Verhältnis gemeldet werden – hier also 30 % Gelbflosse und 70 % Großauge, obwohl das tatsächliche Verhältnis 70 % zu 30 % beträgt.
Ein „schwarzes Loch“ der Ungewissheit
Die enorme Ungenauigkeit, die diese Änderungen der Fangmengenmeldung zur Folge hätten, würde jeden Anspruch der EU, Fischbestände auf wissenschaftlicher Grundlage zu regulieren, ad absurdum führen. Fischbestände können nicht nachhaltig verwaltet werden, wenn Fänge 40-50 % höher sein könnten als geschätzt, oder Arten falsch bestimmt und stattdessen als gänzlich andere erfasst werden könnten.
Grace O'Sullivan, Mitglied des Europäischen Parlaments und Verhandlungsführerin der Grünen, sagt: „Die Gemeinsame Fischereipolitik der EU basiert auf Wissenschaft und dem Vorsorgeprinzip – aber ein klaffendes Schlupfloch wie dieses gefährdet nicht nur die Zukunft der Fischereiindustrie und der marinen Ökosysteme, sondern auch den Erfolg des europäischen Green Deals und untergräbt die Arbeit der EU in Zusammenarbeit mit anderen Ländern, die Nachhaltigkeit der globalen Fischerei zu steigern.“
Und sie hat recht. Wie kann die EU weiterhin verlangen, dass andere Länder die illegale, nicht gemeldete und unregulierte Fischerei bekämpfen, wenn Europas eigene Schiffe ihre Fänge nicht mit dem geringsten Grad an Genauigkeit melden müssen – wenn die Bestandsverwaltung auf so ungenauen Daten beruht, dass sie nichts als ein „schwarzes Loch“ der Ungewissheit darstellt?
Es besteht kaum ein Zweifel an den schädlichen Auswirkungen dieser Vorschläge. Sie untergraben die Wissenschaft, sabotieren jegliche wirksame Steuerung und dienen dabei nur kurzfristigen Interessen und schnellen Gewinnen auf Kosten einer tatsächlich nachhaltigen Fischerei.
Der Weg nach vorn
Die Entwürfe werden derzeit noch im Rahmen der Verhandlungen über die EU-Fischereikontrollverordnung geprüft, doch es regt sich bereits Widerstand. Die Europäische Kommission selbst ist gegen die Änderungen der Toleranzmarge. Der EU-Kommissar für Umwelt, Meere und Fischerei Virginijus Sinkevičius erklärte, dass genaue Fangmeldungen ein Grundprinzip der Gemeinsamen Fischereipolitik sind.
Auch einige Mitgliedstaaten haben demonstriert, dass sie gegen die Vorschläge vorgehen. Finnland hat bereits gegen den Entwurf des Rates gestimmt, mehr Arten als austauschbar melden zu dürfen und im neuen Koalitionsvertrag Deutschlands wird sich für faire, wissenschaftlich fundierte Fangquoten ausgesprochen. Um dem treu zu bleiben, muss die deutsche Bundesregierung sich klar gegen die Entwürfen positionieren.
Die Wahrheit ist, dass durch die Änderungen bis zu vier von zehn Fischen aus offiziellen Aufzeichnungen über Fangmengen verschwinden könnten. Dadurch wird jede Chance auf eine nachhaltige, wissenschaftsbasierte Regulierung torpediert und die Lebensgrundlagen und das Leben im Meer sowohl in Europa als auch überall auf der Welt bedroht.
Die EU und ihre Mitgliedstaaten dürfen der aggressiven Lobbyarbeit von Industrieverbänden nicht nachgeben, wenn sie „technische Schwierigkeiten“ bei der Meldung als Vorwand nutzen, um kurzfristig zerstörerische Gewinne aus unseren Meeren zu ziehen. Wie Kommissar Sinkevičius es ausdrückte: „Wenn es uns in den 1960er Jahren gelungen ist, Menschen auf den Mond zu schicken, können wir die Fangmengen im Jahr 2021 sicherlich mit einer Genauigkeit von 10 % schätzen.“
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