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Okt. 09, 2020

Rückgang von Wildtieren bekämpfen, um unsere Zukunft zu sichern

Von Steve Trent, Geschäftsführer (CEO) und Gründer der Environmental Justice Foundation

Berichte über den globalen Zustand der Natur belegen einen katastrophalen Verlust an Leben auf unserer Erde. Überwiegend ausgelöst hat ihn der Mensch. Bemühungen um den Schutz von Wildtieren und Ökosystemen sind angesichts von Umweltzerstörung, Überfischung, Klimakrise und Umweltverschmutzung fast vollständig gescheitert. Gesunde Ökosysteme und der Schutz der Artenvielfalt müssen endlich Priorität bei politischen Entscheidungen werden – und zwar weltweit.

Artensterben

Wenn von der „Biodiversitätskrise“ die Rede ist, denkt man vermutlich schnell an Arten wie das Nördliche Breitmaulnashorn, dessen Population heute leider nur noch zwei Tiere zählt. Doch das tatsächliche Ausmaß der Krise erstreckt sich bereits auf den gesamten Planeten – von den kleinsten bis hin zu den größten Tierarten.

Das sechste Massensterben ist in vollem Gange und schreitet rasch voran. Der durchschnittliche Verlust an Wirbeltierarten während des letzten Jahrhunderts ist bis zu 100 Mal höher als die tatsächliche Dunkelziffer. Diese konservative Einstufung dürfte das Ausmaß des Problems unterschätzen.

Die Gründe für diese beispiellose Welle des Artensterbens sind vielfältig. Verlust von Lebensraum, Überfischung, Umweltverschmutzung sowie der kommerzielle Handel mit Wildtieren erhöhen die Gefahr eines Massenartensterbens. Der Zusammenbruch des Klimas verändert Lebensräume auf jedem Teil unserer Erde, und Arten, die mit dem Tempo der Erderwärmung nicht Schritt halten können, sind existenziell bedroht.

Abhängigkeit

Auch die Größe der Wildtierpopulationen, wie sie vom Living Planet Index erfasst wird, spielt eine Rolle. Der diesjährige Index, der 4.392 Wirbeltierarten umfasst, zeigt, dass Populationen zwischen 1970-2016 um 68% zurückgegangen sind, wobei die schlimmsten Auswirkungen mit einem Durchschnitt von 94% in Lateinamerika und der Karibik zu verzeichnen waren. Keines der 2010 in Aichi festgelegten Ziele für den Schutz der biologischen Vielfalt wurde erreicht.

Viele Arten sterben funktionell aus – das heißt, dass sie keinen Beitrag mehr zu ihrem Ökosystem leisten. Dieses Problem existiert lange bevor das letzte Tier einer Art vollständig verschwunden ist. Weltweit waren im Jahr 2004 schätzungsweise 6,5% der Vogelarten funktionell ausgestorben – eine Zahl, die mittlerweile wahrscheinlich bereits angestiegen ist.

Die Komplexität vieler Ökosysteme hat zur Folge, dass die meisten Arten für ihr Überleben auf andere angewiesen sind. Wenn also eine Art auszusterben beginnt, werden andere langfristig nachziehen. So sind beispielsweise Feigen und Feigenwespen für ihr Überleben voneinander abhängig, da sich viele Feigenwespenarten nur auf Feigenbäumen fortpflanzen und viele Feigenbäume nur von den Wespen bestäubt werden. Würde eine der Arten verloren gehen, wäre das Aussterben der anderen gesichert. Im Gegenzug sind Feigen eine lebenswichtige Ressource für Affen, Vögel, Fledermäuse – insbesondere zu den Zeiten des Jahres, in denen andere Nahrung weniger verfügbar ist. Ein Rückgang der Feigenwespenpopulationen hätte daher verheerende Auswirkungen, welche auch die Ökosysteme, die auf sie angewiesen sind, in Mitleidenschaft ziehen würden.

Menschen und Wildtiere sind gleichermaßen auf gesunde Ökosysteme angewiesen, um einen lebenswichtigen Nutzen wie Bestäubung, Wasserreinigung sowie Kohlenstoffaufnahme und -speicherung zu erhalten. Um die Krise der biologischen Vielfalt abzuwenden und eine stabile Zukunft für das Leben auf unserer Erde zu ermöglichen, brauchen wir eine Politik, die sich dafür stark macht, Tierpopulationen zu schützen und ihnen zu helfen, sich zu erholen und zu gedeihen und gleichzeitig ihr Aussterben zu verhindern.

Fehler und Kipppunkte

Dass Arten aussterben, weil sie ihren Lebensraum verlieren, passiert nicht immer sofort. Weil die Zerstörung unserer Umwelt weiter ungehindert voranschreitet und Wildtiere in immer kleinere verbleibende Zonen gedrängt werden, kann es eine gewisse Zeit dauern, bis die Auswirkungen des Ressourcenverlusts sichtbar werden. Diese Phänomen wird auch als bemerkbar machen, ein Phänomen, das auch als „Extinction Debt“ bezeichnet wird.

Menschliche Einflüsse auf die Natur wie die Klimakrise und die Zerstörung von Lebensräumen verändern auch die Spielregeln, welche Arten am besten für die Zukunft gerüstet sind. Diejenigen, die sich auf bestimmte Lebensräume spezialisiert haben, sind eher von Populationsrückgang und Aussterben bedroht als generalistische Arten: Im Amazonasgebiet beispielsweise nehmen Kolibriarten, die dichten Wald zum Überleben benötigen, bereits ab, während Arten, die an Ackerland als Lebensraum angepasst sind, dies nicht tun.

Expert*innen warnen bereits davor, dass der anhaltende Ausstoß von Treibhausgasen große Teile des Amazonasbecken in eine Savanne verwandeln könnte. Diese Veränderung würde die Existenz des gesamten Regenwald-Ökosystems ernsthaft bedrohen.

Natürliche Lösungen

Die genannten Beispiele zeigen, dass Arten und Ökosysteme, von denen wir abhängig sind, grundlegend geschädigt werden – und das lange bevor das Aussterben tatsächlich eintritt.

Natürliche Lösungen zum Schutz und zur Erhaltung von Wäldern, Feuchtgebieten und anderen wichtigen Lebensräumen, die Kohlenstoff speichern und ihn aus der Atmosphäre aufnehmen, sind ein wichtiger Teil der Pläne zur Bewältigung der Klimakrise. Sie könnten potenziell ein Drittel der Emissionen reduzieren, die bis 2030 erforderlich sind, um die globale Erwärmung unter 2 °C zu halten. Wenn diese Ökosysteme jedoch nicht funktionieren oder durch unser heutiges Handeln morgen vom Aussterben bedroht sind, können sie nicht die Unterstützung leisten, die wir dringend brauchen.

Diese künftigen Auslöschungen und der kaskadenartige Zusammenbruch der Ökosysteme, der durch unseren Angriff auf die Natur verursacht wird, können aufgehalten und rückgängig gemacht werden. Dies wird nicht nur den Wildtieren, sondern letztendlich auch uns selbst zugute kommen. Pandemien wie Covid-19 zeigen uns, dass unsere Eingriffe in die Natur verheerende Auswirkungen auf uns Menschen haben. Die Wiederherstellung der natürlichen Ökosysteme schützen uns vor Pandemien, dem Zusammenbruch des Klimas und dem Verlust von lebenswichtigen Leistungen, wie Bestäubung und Wasserreinigung, die uns gesunde Ökosysteme erbringen.

Die Politik zur Bewältigung der Biodiversitätskrise muss kaputte Lebensräume wiederherstellen und sie vor Abholzung, Bergbau sowie der Agrarindustrie schützen. Indigene Gebiete, die für die globale Erhaltung der biologischen Vielfalt lebenswichtig sind, müssen respektiert werden.

Unternehmen und Regierungen müssen sich dazu verpflichten, Raubbau aus den Schlüsselregionen biologischer Vielfalt zu beenden und Initiativen ergreifen, um dies zu erreichen. Die Erfüllung der Ziele des Pariser Abkommens wird auch dazu beitragen, die Krise der biologischen Vielfalt abzuwenden. Wir müssen das Artensterben zurückdrängen, um Wildtiere, unsere natürliche Umwelt und letztlich auch uns selbst wirklich schützen.