Spenden
Blauer Kohlenstoff: Die Rolle der Meere im Kampf gegen die Klimakrise
Juni 30, 2022

Blauer Kohlenstoff: Die Rolle der Meere im Kampf gegen die Klimakrise

Von Environmental Justice Foundation Deutschland

Der Ozean ist unser größter Verbündeter im Kampf gegen die Klimakrise. Die EU hat nun die einmalige Gelegenheit, Menschen, Wildtiere und unseren Planeten zu schützen, indem sie unsere Meere bewahrt.

Alex Rogers ist Science Director von REV Ocean; Steve Trent ist Geschäftsführer (CEO) und Gründer der Environmental Justice Foundation

Wir sind derzeit mit zwei Notlagen konfrontiert: dem Klimawandel und dem Verlust der biologischen Vielfalt. Momentan erreichen die Hitzewellen in Pakistan 50 °C – Temperaturen, die die menschliche Gesundheit gefährden und sogar zum Tod führen können. Zudem dauert eine extreme Dürre in Chile nun schon 13 Jahre an. Obwohl bekannt ist, wie wichtig es ist, die globale Erwärmung auf unter 2 °C und idealerweise auf unter 1,5 °C zu begrenzen, stiegen die weltweiten CO2-Emissionen im Jahr 2021 auf den bisher höchsten Stand.

Der Klimanotstand treibt Massen an Meereslebewesen in Richtung der Pole und zerstört eine Vielzahl wichtiger Meeresökosysteme wie Korallenriffe und Seegraswiesen. Darüber hinaus belasten Überfischung, zerstörerische Fischereitechniken, Küstenentwicklung und Verschmutzung das Leben im Ozean. Unter diesen Umständen ist es keinesfalls überraschend, dass Forschende ein sechstes Massenaussterben vorhersagen.

Die Bedeutung des „grünen Kohlenstoffs“, der beispielsweise in Wäldern gespeichert ist, wird von der Öffentlichkeit und den Regierungen weithin anerkannt und ist in vielen Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens enthalten. Blue Carbon bzw. blauer Kohlenstoff, der in Küsten- und Meeresökosystemen gespeichert ist, wird nicht im gleichen Umfang anerkannt. Dabei ist sind unsere Meere die größten aktiven Kohlenstoffsenken und -speicher der Erde.

Blauer Kohlenstoff

Küstenökosysteme wie Mangrovenwälder und Seegraswiesen sind bekannt für ihre vielfältige Tier- und Pflanzenwelt; obendrein speichern sie bis zu zehnmal mehr Kohlenstoff als tropische Regenwälder der gleichen Größe. Seit den 1970er Jahren ist die Fläche der weltweiten Mangrovenwälder jedoch um etwa 40 % und die der Salzwiesen sogar um 60 % zurückgegangen. Dies bewirkt, dass die Ökosysteme einerseits keinen Kohlenstoff mehr aus der Atmosphäre aufnehmen können, und andererseits, dass gespeicherter Kohlenstoff wieder freigesetzt wird.

Über Meeres- und Küstenökosysteme hinaus haben Wissenschaftler*innen entdeckt, dass sowohl in der Kontinentalschelfe der Küstenstaaten als auch in der Tiefsee riesige Kohlendioxidspeicher vorhanden sind. Diese übertreffen die Bestände der Küstenökosysteme sogar um bis zu zwei Größenordnungen.

Auch Meereslebewesen wie Pottwale spielen eine Schlüsselrolle im Kohlenstoffkreislauf. Sie ernähren sich in der Tiefsee von Tintenfischen und scheiden bei ihrer Rückkehr an die Meeresoberfläche Kot aus. Durch diesen Kreislauf „düngen“ sie den Ozean.

Jeden Tag findet bei Einbruch der Dunkelheit die größte Wanderung der Welt statt, bei der kleine Fische, Krebstiere, Tintenfische und Quallen Hunderte von Metern aus der Tiefe an die Meeresoberfläche schwimmen, sich dort ernähren und später in die Tiefe zurückkehren. Sie transportieren so aktiv Kohlenstoff in die Tiefen des Ozeans, wo er für Hunderte oder Tausende von Jahren gespeichert wird.

Diese lebenswichtigen Ökosysteme sind jedoch stark gefährdet. Die ständig zunehmende Grundschleppnetzfischerei könnte jedes Jahr eine halbe Milliarde Tonnen CO2 freisetzen, indem sie die Kohlenstoffspeicher der Kontinentalschelfe stört. In Europa wurden bereits 79 % des Meeresbodens an den Küsten und 43 % der Schelf- und Hangflächen physisch in Mitleidenschaft gezogen, insbesondere durch die Grundschleppnetzfischerei.

Zwei Dinge sind demnach sicher: Unser Umgang mit dem Ozean treibt eine Klima- und Umweltkatastrophe voran. Lebensräume, in denen blauer Kohlenstoff gespeichert ist, müssen umgehend kartiert und geschützt werden, um diese Katastrophen abzuwenden.

Wir müssen jetzt handeln

Nur 3 % aller wichtigen Meereslebensräume befinden sich in vollständig geschützten Meeresschutzgebieten (MPAs) – für einige wichtige existieren sogar keinerlei Schutzmaßnahmen. Dass Küsten- und Meeresökosysteme riesige Mengen an Kohlenstoff aufnehmen und speichern, muss bei allen Aspekten des Meeres- und Küstenmanagements berücksichtigt werden, sowohl bei der Küstenentwicklung als auch im Fischereimanagement und der Schifffahrt. Ein besseres Verständnis der Meeresökosysteme und ihres Beitrags zum Kohlenstoffkreislauf ist von grundlegender Bedeutung für eine wirksame Klima- und Biodiversitätspolitik.

Das Europäische Parlament hat im Mai einen Beschluss angenommen, durch welchen die EU dazu aufgefordert wird, wissenschaftliche Forschungsprogramme zur Kartierung kohlenstoffreicher mariner Lebensräume in EU-Gewässern einzuleiten und zu finanzieren. Die identifizierten Ökosysteme sollen unter strengen Schutz gestellt werden – auch vor zerstörerischen Aktivitäten wie der Grundschleppnetzfischerei. Nun verhandelt die EU darüber, wie – und ob – dies finanziert werden soll.

Starke Maßnahmen zur Kartierung und zum Schutz von Gebieten, in denen blauer Kohlenstoff gespeichert ist, sind eine einmalige Gelegenheit, den Europäischen Green Deal, das Pariser Klimaabkommen und die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie – Europas Bemühungen zur Verbesserung der Gesundheit der Meeresökosysteme – umzusetzen.

Es ist an der Zeit, den Kurs des Anthropozäns zu ändern. Wir müssen aufhören, die Natur auszubeuten und ihre zentralen Funktionen, die sie für all das Leben auf der Erde erfüllt, zu untergraben. Stattdessen müssen wir eine nachhaltige Wirtschaft und Gesellschaft schaffen, die den Planeten und seine Ökosysteme schützt und wiederherstellt.

Wenn wir blauen Kohlenstoff zu einem zentralen Bestandteil der übergreifenden EU-Politik zum Schutz der Meere machen, können wir gleichzeitig eine nachhaltige Fischerei, den Klimaschutz und die biologische Vielfalt unterstützen.

Dieser Artikel erschien im Original bei EURACTIV und wird hier mit Erlaubnis erneut veröffentlicht.