Deutschland braucht ein gerechtes Klima-Sofortprogramm
Warum schnelle und konkrete Maßnahmen zur Lösung der Klimakrise Kern der Koalitionsverhandlungen sein müssen.
Der Ausgang der Bundestagswahl 2021 war ein Signal für einen Richtungswechsel. Auch wenn die Ergebnisse noch eindeutiger hätten sein können, zeigten sie den Wunsch der Bundesbürger*innen nach einer stärker sozial und ökologisch ausgerichteten Politik.
Alle demokratischen Parteien haben sich inzwischen dem 1,5-Grad-Ziel verpflichtet, doch zeigte bereits eine kurz vor der Wahl veröffentlichte Studie, dass keines der Wahlprogramme der Parteien ausreichend ambitioniert und konkret genug war, um den deutschen Beitrag zur Erreichung des Pariser Klima-Ziels zu erfüllen. Stattdessen braucht Deutschland ein Klima-Sofortprogramm mit gerechten und konkreten Maßnahmen und einer schnellen Umsetzung. CO2-Neutralität muss bis spätestens 2035 erreicht werden, um gefährliche Kipppunkte zu vermeiden und um endlich einen angemessenen deutschen Beitrag zur Klimalösung beizutragen.
„Der Druck aus der Gesellschaft ist da. Regierungen müssen verstehen, dass es jetzt nicht nur Ziele, sondern konkrete und vor allem zeitnahe Maßnahmen braucht.”
– Steve Trent, EJF-Geschäftsführer (CEO) und Gründer
Das Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP, welches die Grundlage für die kommenden Koalitionsverhandlungen bilden wird, spricht sich für ein Klimaschutz-Sofortprogramm aus, das bereits 2022 verabschiedet werden soll, um „Deutschland auf den 1,5 Grad Pfad zu bringen”. Trotz dieser Ambitionen, die positive Ansätze beinhalten, bleiben die zukünftigen Koalitionsparteien vage, wie genau sie dieses Ziel erreichen wollen. Wissenschaftler- und Kommentator*innen kritisierten bereits, dass mit den Vorschlägen der Ampel-Koalitionär*innen die Klimaziele nicht einzuhalten sind. Ein Trend, der sich bereits in den Wahlprogrammen der Parteien zeigte.
Im Vorfeld der Bundestagswahl ergab eine EJF-Analyse der Wahlprogramme bereits das Fehlen ausreichend konkreter Umsetzungsideen auch bei weiteren wichtigen umweltpolitischen Themen wie Meeresschutz, Fischerei oder den Sorgfaltspflichten für Lieferketten.
Wir brauchen eine sozial-ökologische Transformation
Kern der anstehenden Koalitionsverhandlungen muss daher ein Sofortprogramm mit gerechten und konkreten Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen sein. Hierbei müssen sämtliche Lebensbereiche einbezogen werden für eine sozial-ökologische Transformation.
Die zukünftigen Regierungsparteien müssen einen mutigen, visionären und vor allem gerechten gesellschaftlichen Ansatz entwickeln. Damit die erforderliche Klima-Transformation gesamtgesellschaftlich mitgetragen wird, muss die Bundesregierung Gerechtigkeit in allen Dimensionen – von Generations- über soziale bis hin zu internationaler Gerechtigkeit – mitdenken und Klimaschutz unter dieser Prämisse gestalten.
Grundsatzkonflikt: Markt oder Staat
Schon jetzt zeichnet sich ab: das Thema Klimaschutz wird ein wichtiger Kern in den Koalitionsverhandlungen sein. Bei den zentralen Verhandlungs-Blöcken im Nachhaltigkeitsbereich wird es auch um Energie und Finanzen gehen. Die Positionen der Parteien gehen hierbei stark auseinander. Vor allem darüber, ob Herausforderungen durch den Markt oder per Regulierung gelöst werden, herrscht Uneinigkeit.
Im Energiesektor zeigt sich dies zum Beispiel bei der Frage des Zeitpunkts des Kohleausstiegs. Die Grünen sprechen sich für 2030 als Ausstiegsjahr aus, während für den Kanzlerkandidaten der SPD, Olaf Scholz, ein marktgetriebenes Aus bis 2034 vorstellbar wäre. Letzteres wäre gegebenenfalls auch für die FDP denkbar, sofern der Markt hier eine starke Rolle einnimmt.
Die Parteien SPD, FDP und Grüne haben sich nun in ihrem Sondierungspapier unter anderem für einen vorgezogenen Kohleausstieg ausgesprochen: „Zur Einhaltung der Klimaschutzziele ist auch ein beschleunigter Ausstieg aus der Kohleverstromung nötig. Idealerweise gelingt das schon bis 2030.” Die Parteien müssen nun in den Koalitionsverhandlungen die konkrete Umsetzung aushandeln und damit beweisen, dass diese Aussage kein Papiertiger ist. Die EJF fordert einen vollständigen Kohleausstieg bis zum Jahr 2030.
Auch bei dem Ausbau der erneuerbaren Energien gehen die Vorschläge der Parteien auseinander. Aus unserer Sicht liegt hier eine zentrale Chance, um den Pfad Richtung 1,5 Grad einzuschlagen, jedoch nur wenn parallel die Energieversorgung rasch auf 100 % erneuerbare Energien umgestellt wird.
Selbst die genaue Ausgestaltung der CO2-Bepreisung bietet viel Konfliktpotenzial. Während die Grünen den Preis im nationalen Emissionshandel hochsetzen möchten, lehnten SPD und FDP dies im Bundeswahlkampf bislang ab, sodass auch hier markt- und regulatorische Präferenzen aufeinander treffen. Die EJF fordert den CO2-Preis bereits in 2022 auf mindestens 90 Euro pro Tonne anzuheben und im Laufe der kommenden Legislaturperiode sukzessive zu erhöhen sowie einen Grenz-Ausgleichsmechanismus zu schaffen.
Nachhaltige Finanzen als wichtiger Hebel
Sicher ist auch, dass es daneben um neue Ansätze in der Finanzpolitik gehen muss – um nationale öffentliche Investitionsprogramme ebenso wie um die Frage, wie öffentliche und private Investitionen endlich nachhaltig gestaltet werden können.
Die Umleitung von öffentlichen und privaten Finanzströmen auf einen Nachhaltigkeits-Pfad kann ein Game changer sein, da sie den Umbau zu einer nachhaltigen Wirtschaft massiv beschleunigen und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit erhalten kann. Hierfür muss im Koalitionsvertrag eine mutige und weitsichtige Strategie gefunden werden, denn die Zeit für die neue Regierung ist knapp bemessen. Die Entwicklungen auf europäischer Ebene, auf der die weitere Ausgestaltung des European Green Deals ansteht, sind in vollem Gange und Deutschland muss als starker Akteur eine Vorreiterrolle einnehmen. Unterstützt würde die neue Regierung von starken progressiven Akteur*innen aus der Finanzwelt und Wirtschaft, die selbst darauf drängen, die Regeln lieber aktiv mitzugestalten als abwartend daneben zu stehen.
Ausblick Koalitionsverhandlungen: konkret, mutig, schnell
Die Wahlergebnisse haben gezeigt, dass die Mehrheit der Wähler*innen eine Wende will und breite Teile der Zivilgesellschaft drängen auf ein Klimaschutzprogramm, damit Deutschland endlich aktiv seinen Beitrag zur Lösung der Klimakrise leistet.
Die bevorstehende wirtschaftliche, gesellschaftliche und soziale Transformation zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels ist eine komplexe Herausforderung, da nahezu alle Sektoren und gesellschaftlichen Bereiche fundamental umgestaltet werden müssen – innerhalb eines Jahrzehnts! Es ist wichtig einen gesamtwirtschaftlichen Ansatz umzusetzen und staatliche fiskal- und währungspolitische Möglichkeiten optimal zu nutzen und den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft zu schaffen.
Die Aufgabe ist anspruchsvoll und wird ein Kraftakt werden, ist aber auch enorm belohnend. Wir sollten nicht vergessen, diese Transformation als herausragende Chance zu begreifen und welche Möglichkeiten sich uns dadurch bieten: von Unternehmen, die in die Kreislaufwirtschaft einsteigen bis hin zu einer Zukunft in urbanen Räumen mit klimagerechten Verkehrskonzepten, in denen wir ruhiger und gesünder leben können.
Die Klimawende wird oft als enormer Kostenfaktor dargestellt. Dabei bedeutet eine rechtzeitige Lösung der Klimakrise die größte Ersparnis in der Geschichte. Eine nachhaltige Transformation der wichtigsten Sektoren bedeutet für Deutschland auch die Chance neue Jobs zu schaffen und durch Exporte aus dem Bereich Erneuerbare Energien und z. B. klimafreundlichen Technologien für die Automobilbranche weiterhin eine der wichtigsten Ökonomien innerhalb der EU zu bleiben.
Die neue Bundesregierung muss diese Chance ergreifen und in sehr kurzer Zeit eine mutige Vision und konkrete Pläne entwickeln, um die Klimakrise zu lösen und unmittelbar mit der Umsetzung beginnen. Ein erster Schritt dazu ist eine konkrete Ausgestaltung der groben Ziele der Sondierungsergebnisse, um den legitimen Forderungen junger und zukünftiger Generationen gerecht zu werden.
„Wir können die Welt nicht retten, indem wir uns an die Spielregeln halten. Die Regeln müssen sich ändern, alles muss sich ändern, und zwar heute.“
– Greta Thunberg, schwedische Klima-Aktivistin
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