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Illegale Grundschleppnetzfischerei im Mittelmeer bedroht Ökosysteme und Lebensgrundlagen
Mai 04, 2023

Illegale Grundschleppnetzfischerei im Mittelmeer bedroht Ökosysteme und Lebensgrundlagen

Von Environmental Justice Foundation Deutschland

Der Golf von Gabès ist eine Bucht an der Ostküste Tunesiens. Das Gebiet hat eine außergewöhnliche ökologische, kulturelle und sozioökonomische Bedeutung. Doch „Kiss Trawling – eine Form der illegalen Grundschleppnetzfischerei – zerstört die marinen Ökosysteme im Golf und damit auch die Lebensgrundlage der Fischergemeinden, die auf sie angewiesen sind. Neue Untersuchungen von FishAct und der Environmental Justice Foundation (EJF) verdeutlichen, dass dringend gegen die zerstörerische Praxis vorgegangen werden muss, um die einzigartige Region zu schützen.

Im Golf von Gabès findet sich eine der größten noch verbliebenen Vorkommen von Posidonia oceanica – umgangssprachlich als Mittelmeer-Neptungras bezeichnet. Diese Art von Seegras bindet bis zu 70 Mal mehr Kohlenstoff als dieselbe Fläche tropischen Waldes und absorbiert etwa 15-20 % der CO2-Emissionen Tunesiens. Es ist geschützt durch das Übereinkommen zum Schutz des Mittelmeers vor Verschmutzung von Barcelona (1976) sowie durch die Berner Konvention, oder auch das „Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume“ von 1979. „Kiss Trawling“ schädigt dieses biologisch vielfältige Ökosystem nachhaltig und schwer.

Das Neptungras schützt Tunesiens Küste vor Erosion, verbessert die Wasserqualität und dient als wichtiges Aufwuchsgebiet und Lebensraum für viele Meerestierarten, darunter bedrohte Haie, Meeresschildkröten und kommerziell wichtige Fischpopulationen. Die illegale Schleppnetzfischerei stellt daher auch eine direkte Bedrohung für das Klima, die marine Tierwelt und eine nachhaltige Meereswirtschaft dar.

Grundschleppnetzfischerei ist eine der unselektivsten und zerstörerischsten Formen der Fischerei. Das gilt auch für „Kiss Trawling“, das von Schiffen betrieben wird, die in der Regel kürzer als 10 Meter sind und in flachen Gewässern operieren. Sie verwenden kleinmaschige Netze, die zu einem Beifanganteil von bis zu 95 % führen – der Großteil dieses Beifangs wird ins Meer zurückgeworfen.

Obwohl die Schleppnetzfischerei nach tunesischem Recht illegal ist, wird sie offen praktiziert. In den letzten zehn Jahren hat die Praxis stark zugenommen, wobei die Zahl der Trawler zwischen 2018 und 2022 um mehr als ein Drittel gestiegen ist. Neue Untersuchungen dokumentierten Schleppnetzfischerei in einer Entfernung von etwa einer Seemeile von der Küste, was offensichtlich gegen regionale Bewirtschaftungsmaßnahmen der Allgemeinen Kommission für die Fischerei im Mittelmeer (GFCM) zum Schutz gefährdeter Haie und Rochen verstößt.

Handwerkliche Fischer berichten, dass sie nicht mit den Schleppnetzfischern konkurrieren können. Die sogenannte „Charfia-Fischerei“, eine traditionelle Methode, die nur auf den Kerkenna-Inseln praktiziert wird und 2020 in die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen wurde, ist eine umweltschonende Fangmethode, die von Generation zu Generation weitergegeben wird.

„Charfia“-Fischer und andere Kleinfischer befürchten das Ende ihrer traditionellen Fangmethoden, denn Schleppnetzfischer beschädigen ihr Fanggerät und Fischpopulationen gehen stark zurück. Weil sie keine andere Möglichkeit haben, sehen sich einige von ihnen gezwungen, selbst „Kiss Trawling“ zu betreiben.

Die Untersuchungen ergaben, dass EU-Mitgliedstaaten möglicherweise Fisch und Meeresfrüchte importieren, die illegal von „Kiss-Trawlern“ gefangen wurden. Wenn das der Fall ist, wäre dies ein Verstoß gegen geltende EU-Rechtsvorschriften zur Unterbindung der illegalen, nicht gemeldeten und unregulierten Fischerei. Es besteht der Verdacht, dass der von Schleppnetzfischern gefangene Fisch in legale Lieferketten eingeschleust wird, vor allem nach Italien und Spanien.

Als wichtigster Markt für Fisch und Meeresfrüchte aus Tunesien hat die EU die Verantwortung, sicherzustellen, dass Produkte, die in europäischen Supermarktregalen landen, legal und nachhaltig sind. Die tunesische Regierung und die regionale Fischereiorganisation GFCM müssen dringend Maßnahmen ergreifen, um die Schleppnetzfischerei auf faire und nachhaltige Weise zu beenden.

„Illegale Grundschleppnetzfischerei zerstört ein äußerst wichtiges Ökosystem im Golf von Gabès und schadet direkt den Menschen und der Tierwelt, die darauf angewiesen sind“, so Steve Trent, Geschäftsführer (CEO) und Gründer der Environmental Justice Foundation. „Eine nachhaltige Lebensweise verschwindet; gleichzeitig ist die wichtige Funktion von Seegraswiesen bei der Bindung von Kohlenstoff ernsthaft bedroht. Die Verantwortlichen in Tunesien, der EU und der GFCM müssen jetzt Maßnahmen ergreifen, um den Golf von Gabès zu schützen und einen gerechten Übergang für die betroffenen Gemeinden zu gewährleisten.“

„Einzigartige Seegraswiesen und die Meeresfauna, die sie beheimaten, sind in Gefahr – zum großen Teil aufgrund der illegalen Schleppnetzfischerei“, erklärt Sofian Zerelli, FishAct Investigations Campaigner. „Um zu überleben, bleibt den Menschen keine andere Wahl, als sich dieser Praxis anzuschließen. Es ist an der Zeit, diesen Teufelskreis zu beenden. Unsere neue Untersuchung zeigt, dass die tunesische Regierung, EU-Institutionen und die GFCM ihn durchbrechen können. Wir fordern sie auf, diese Schatzkammer der biologischen Vielfalt und die davon abhängigen Lebensgrundlagen in den Küstengebieten zu schützen.“