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Nov. 12, 2020

Indigene in Kolumbien protestieren, wir müssen uns mit ihnen verbünden

Von Steve Trent, Geschäftsführer (CEO) und Gründer der Environmental Justice Foundation

Bis Anfang November diesen Jahres wurden in Kolumbien 251 Aktivist*innen ermordet. Diese erschreckende Zahl ist Teil einer grausamen Welle der Gewalt gegen Indigene und Umweltschützer*innen in der ganzen Welt: Seit der Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens im Dezember 2015 wurden im Durchschnitt jede Woche vier Menschen getötet.

Indigene Aktivist*innen in Kolumbien erheben ihre Stimme gegen Gewalt und Umweltzerstörung. In der Hauptstadt Bogotá begannen im vergangenen Monat Proteste, an denen Tausende von Anführer*innen aus dem ganzen Land teilnahmen. Wir müssen diesen Menschen zuhören.

Unser Konsum von Rindfleisch und Soja sowie unser Bedarf an Rohstoffen und Mineralien steht in direktem Zusammenhang mit der Entwaldung, die indigene Gemeinschaften und wichtige Ökosysteme in Kolumbien und auf der ganzen Welt bedroht. Wir müssen jetzt Maßnahmen ergreifen, um der Gewalt gegen Menschen und gegen unsere Erde endlich einen Riegel vorzuschieben.

Eine Geschichte der Gewalt

Während des fünf Jahrzehnte währenden Konflikts in Kolumbien wurden mehr als 220.000 Menschen getötet und mehr als fünf Millionen vertrieben, darunter Hunderttausende von Indigenen und Afrokolumbianer*innen. 2016 wurden schließlich Friedensabkommen zwischen der kolumbianischen Regierung und der größten Rebellengruppe, der Farc, unterzeichnet.

Doch die Hoffnungen auf einen dauerhaften Frieden sind verflogen. Neue bewaffnete Gruppen stoßen im Kampf um Macht und Land gewaltsam mit der Regierung, der Zivilbevölkerung und anderen Milizen zusammen. Indigene Völker tragen die Hauptlast dieses Angriffs; Führer kolumbianischer Gemeinden bezeichnen die Eskalation der Gewalt als Völkermord.

Gewalt gegen indigene Völker und den Planeten

Indigene Völker machen nur fünf Prozent der Weltbevölkerung aus, doch ihr angestammtes Land schützt 80% der terrestrischen Tierwelt der Erde. Fragen der Umweltgerechtigkeit wie Landbesitz, Schutz vor Ausbeutung angestammter Gebiete und Menschenrechte haben zu einem weltweiten Anstieg der Gewalt gegen indigene Völker geführt.

2019 war das tödlichste Jahr für Umweltschützer*innen und Indigene; Kolumbien war das tödlichste Land der Welt. 2020 ist noch nicht vorbei, doch die Morde in Kolumbien sind in diesem Jahr bereits viermal so hoch wie im Jahr zuvor. Der Schutz von Indigenen und die Bewahrung ihres traditionellen Wissens ist entscheidend, um unseren Planeten vor dem Zusammenbruch des Klimas zu bewahren.

Umweltzerstörung in Kolumbien

Wälder bedecken fast die Hälfte Kolumbiens. Davon sind rund 37 Millionen Quadratkilometer Amazonas-Regenwald. Doch die zerstörerische Ausdehnung von Minen und Viehfarmen sind ein gefährlicher Angriff auf diese wichtigen Lebensräume.

Nach jahrzehntelange Konflikten und Enteignungsprozessen wurde es versäumt, die Rechte der Indigenen sowie ihren Landbesitz zu schützen. Gleichzeitig wurde die Zerstörung der kolumbianischen Wälder sogar noch beschleunigt. Im Jahr der Unterzeichnung des Friedensabkommens stieg die Entwaldung um 44%. Allein das kolumbianische Amazonasgebiet verlor zwischen 2016 und 2018 fast 1,2 Millionen Hektar Wald.

Unter der Kontrolle von Farc wurde eine Art Politik zur Erhaltung der Umwelt mit vorgehaltener Waffe geschaffen: Bauern und Bäuerinnen wurden verpflichtet, Teile ihres Landes bewaldet zu halten. Taten sie dies nicht, riskierten sie gewaltsame Zwangsmaßnahmen. Mit dem Wegfall der Farc hat es die Regierung versäumt, das Machtvakuum zu füllen, indem sie Landraub durch Großgrundbesitzer und kriminelle Gruppen begünstigte und eine gewalttätige Konfrontation zwischen indigenen Völkern und denen, die den Wald aus Profitgründen zerstören wollen, auslöste.

In den Wäldern Kolumbiens blüht eine neue kriminelle Wirtschaft auf: Illegale Goldexporte sind heute mehr wert als Kokain, das berüchtigte "Grundnahrungsmittel" des kolumbianischen Schwarzmarktes. Bewaffnete Gruppen, skrupellose Landbarone, verarmte Familien und vertriebene Gemeinden roden den Wald, um Vieh zu züchten und die ständig wachsende weltweite Nachfrage nach billigem Fleisch zu bedienen.

Die indigene Bevölkerung gerät ins Kreuzfeuer, wenn kriminelle und paramilitärische Gruppen um den Zugang zu diesen majestätischen Ökosystemen kämpfen, um sie auszubeuten. Die Covid-19-Pandemie hat diesen grausamen Trend nur noch beschleunigt.

La Minga Indígena kämpft zurück

Tausende von indigenen Aktivist*innen - kollektiv bekannt als die Minga Indígena - versammelten sich letzten Monat in Bogotá und mieteten bunte Busse, um durch das Land zu fahren und von der Regierung Aktionen für ein demokratischeres, friedlicheres und egalitäres Kolumbien zu fordern. "Minga" ist ein Wort der indigenen Sprache Quechua und bedeutet Gemeinschaftsarbeit oder das Zusammenkommen von Fremden für ein gemeinsames Ziel. Diese Proteste müssen uns alle mobilisieren, zusammenzuarbeiten, um unsere Wälder und die Rechte der Menschen, die sie bewachen, zu schützen.

"Was wir fordern, ist die Fürsorge, der Schutz und die Verteidigung unserer Mutter Erde, die Verteidigung und Garantie für Leben, Menschenrechte, Frieden und die Demontage des Paramilitarismus in Kolumbien." So lauteten die Worte von Ne'h Wesx Cristina Taquinas Bautista. Sie war eine traditionelle Führerin der Nasa, Sozialarbeiterin und Aktivistin für indigene Rechte. Cristina wurde im November 2019 zusammen mit vier indigenen Anführern von einer Rebellengruppe auf Stammesgebiet ermordet.

Maßnahmen ergreifen

Die EU ist für 10% der weltweiten Entwaldung verantwortlich: Die Lebensmittel, die wir essen, die Elektronik, die wir kaufen, und der Biotreibstoff, den wir verbrennen, stammen aus der Zerstörung von Ökosystemen und gehen auf Kosten von indigenen und marginalisierten Gemeinschaften. Indem wir uns in ein System einkaufen, das Umweltschützer*innen gegen die Rohstoffindustrie ausspielt, haben wir die Morde an indigenen Anführer*innen auf unserem Gewissen.

Wir müssen Maßnahmen ergreifen, um der Zerstörung unserer Erde Einhalt zu gebieten und die Rechte indigener Gemeinschaften in Kolumbien und auf der ganzen Welt zu schützen - und das muss schnell passieren.

Die EU-Kommission nimmt derzeit öffentliche Stellungnahmen zu einer neuen Gesetzgebung entgegen, die die Wälder der Welt und die Menschen, die in ihnen leben, schützen könnte. Darüber hinaus muss die kolumbianische Regierung diejenigen, die Gewalt gegen indigene Völker ausüben, ausfindig machen und vor Gericht bringen. Sie muss gefährdete Gemeinschaften unterstützen und der zerstörerischen Ausbeutung der Natur in allen ihren Formen Einhalt gebieten.

Letzten Endes müssen sich Regierungen in aller Welt dazu verpflichten, die Stimmen indigener Völker bei sämtlichen Entscheidungsprozessen - insbesondere bei solchen, die sie und ihr angestammtes Land betreffen - zu konsultieren und miteinzubeziehen. Ihr traditionelles Wissen muss im Mittelpunkt stehen, wenn wir unseren Weg zu einer grüneren und gerechteren Welt beschreiten.

  • Entwaldung führt zu einer globalen Krise für unsere natürliche Umwelt und für Menschenrechte: Unterzeichne jetzt die Petition von #TogetherForForests und fordere die EU auf, Produkte, die mit Entwaldung in Verbindung stehen, aus unseren Supermarktregalen zu verbannen!

Dieser Kommentar erschien ursprünglich als Meinungsbeitrag auf der Website von fairplanet. Bildnachweis: Fernanda Fierro | Unsplash / Ricardo Arce | Unsplash