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Dez. 10, 2020

Kann Deutschland Vorreiter für eine gerechte Klimapolitik sein?

Von Steve Trent, Geschäftsführer (CEO) und Gründer der Environmental Justice Foundation

Vor 25 Jahren fand die erste Klimakonferenz statt. Seitdem hat die Welt das heißeste Jahrzehnt erlebt, das jemals aufgezeichnet wurde. 2020 war das zweitwärmste Jahr seit Beginn der Messungen in Deutschland. Buschbrände in Australien, schmelzendes Eis in der Arktis, Dürren in Europa: Die Auswirkungen der Klimakrise sind da und spürbar. Wir müssen uns hüten, uns nicht an solche Bilder zu gewöhnen.

Vor fünf Jahren wurden die Klimaziele von Paris festgelegt. Sie sollen die globale Erwärmung möglichst unter 1,5 Grad gegenüber vorindustriellem Niveau halten. Um bis 2050 klimaneutral zu werden, müsste die EU ihre Emissionen auf 65% im Vergleich zum Niveau von 1990 senken, so eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

Nicht ambitioniert genug

Ja, es bewegt sich etwas in der internationalen Klimapolitik. Doch es hinkt bei der Umsetzung – sei es der Ausstieg aus fossilen Energien, der Ausbau Erneuerbarer, die Förderung nachhaltiger Mobilität, der Abbau klimaschädlicher Investitionen oder der Schutz natürlicher Kohlenstoffsenken, wie Wälder oder Seegraswiesen.

Der deutsche Klimaschutz ist bestenfalls mittelmäßig. Das zeigt der kürzlich veröffentlichte Klimaschutz-Index von Germanwatch. Insbesondere beim Ausbau der erneuerbaren Energien oder der Umgestaltung des Verkehrssektors ist Deutschland bei weitem nicht ambitioniert genug. Dabei ist der Wandel zur Klimaneutralität für uns eine Chance, eine gesündere Wirtschaft und fairere Gesellschaft zu ermöglichen.

Die Zerstörung natürlicher Lebensräume, die Klimakrise und die Covid-19-Pandemie sind eng miteinander verwoben: Um die Gesundheit der heutigen und künftigen Generationen nachhaltig zu schützen, muss der Aufbauplan der EU den Weg hin zu einer kohlenstofffreien Wirtschaft in den Mittelpunkt stellen.

Für eine gerechte Zukunft

Der Druck aus der Gesellschaft ist da. Ebenso steigt der Druck der internationalen Gemeinschaft. Regierungen müssen nun verstehen, dass nicht nur Ziele, sondern konkrete und vor allem zeitnahe Maßnahmen gefragt sind.

Die Bundesregierung sollte eigentlich erkannt haben, dass Deutschland als eine führende Industrienation eine besondere Verantwortung für den globalen Klimawandel trägt. Die EU sieht sich selbst gerne als global führende Kraft im Klimaschutz. Wenn beide dieser Rolle gerecht werden wollen, müssen sie die Länder des Globalen Südens in der Anpassung, der Risikominimierung und der Transformation hin zur Klimaneutralität unterstützen. Die Zusage der Industrieländer, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für den Klimaschutz in sogenannten Entwicklungsländern zu mobilisieren, muss transparent und konsequent umgesetzt werden – bislang blieben die Staaten aber hinter ihren Zusagen zurück.

Hinter Zahlen stehen Menschen

Jene, die bereits jetzt die Auswirkungen der Klimakrise spüren, dürfen nicht in den Verhandlungen vergessen werden. Die durch den Klimawandel verursachten Schäden stellen schon jetzt eine existentielle Bedrohung für die grundlegendsten Rechte der Betroffenen dar: den Zugang zu Wasser und Nahrung, das Recht auf Gesundheit und angemessene Unterkunft, das Recht auf Selbstbestimmung und das Recht auf das Leben selbst.

Die Klimakrise bringt dabei grundlegende Ungerechtigkeiten zutage: Diejenigen, die am wenigsten zu den Treibhausgasemissionen beitragen, spüren ihre Folgen als erstes und am stärksten. Während die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung nur 10% der globalen Emissionen verursacht, sind die reichsten 10% der Bevölkerung für die Hälfte aller Emissionen verantwortlich.

Eine Studie der Weltbank schätzt, dass durch Auswirkungen des Klimawandels zusätzlich 100 Millionen Menschen bis 2030 in extreme Armut fallen könnten. 2012 erhielt die Europäische Union den Friedensnobelpreises – Wo ist ihr Sinn für Gerechtigkeit geblieben?

Eine Chance für Klimagerechtigkeit?

Während nur 90 Konzerne für 63% der industriellen Emissionen verantwortlich sind, müssen Millionen von Menschen um ihr Zuhause, ihre Sicherheit und ihr Leben fürchten. Naturkatastrophen nehmen in ihrer Stärke und Häufigkeit zu. Infolgedessen haben zwischen 2005 und 2015 23 Millionen Menschen ihr Zuhause verloren, waren 1,5 Milliarden von Naturkatastrophen betroffen und starben 700.000, so ein Bericht aus dem Jahr 2019 des UN-Sonderberichterstatters für menschenrechtliche Verpflichtungen und Umwelt.

Die Zusammenhänge von Klimakrise und Vertreibung werden mittlerweile endlich von der internationalen Staatengemeinschaft gesehen. Doch nach wie vor braucht es einheitliche und umsetzungsorientierte Ansätze. Eine Grundlage dafür ist zuallererst eine klare Definition von Klimaflucht und -migration und eine darauf basierende, eindeutige Position der EU – im vollen Bewusstsein ihrer menschenrechtlichen Verpflichtungen. Dazu ist ein angemessener Rechtsrahmen erforderlich, um die Rechte von Menschen, die infolge des Klimawandels fliehen, anzuerkennen und zu schützen.

Die Zusagen des Pariser Klimaabkommens nicht zu erfüllen, kommt einer Verletzung der internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen gleich. Die Vision für eine Zeit nach der Pandemie darf deshalb nicht "Zurück zur Normalität" lauten. Die Chance, eine bessere Zukunft für uns alle zu schaffen, ist da. Deutschland und Europa müssen sie jetzt ergreifen.