Vor Thailands Küste offenbart sich ein erschütterndes Bild: Die einst klaren, artenreichen Gewässer sind von Plastikmüll übersät. Besonders alarmierend ist die Menge an verloren gegangenen oder zurückgelassenen Fanggeräten, die die Meeresfauna und den Fortbestand der traditionellen Fischerei gefährden. Das Projekt „Net Free Seas“ (Netzfreie Meere) der Environmental Justice Foundation (EJF) setzt dem einen gemeinschaftsbasierten Circular-Economy-Ansatz entgegen und befähigt Kleinfischer*innen, das Problem nutzbringend anzugehen.
Wachsende Müllberge
Viele Orte an Thailands Küsten sind bedeckt mit einem Teppich aus Müll. Die Küstendörfer sind häufig nicht in die staatliche Abfallentsorgung einbezogen, die Gemeinden werden mit der wachsenden Müllflut alleine gelassen.
Mit etwa 23.000 Tonnen Plastikmüll, die jährlich in den Ozean gelangen, gehört Thailand zu den Ländern, die weltweit am meisten mit maritimer Plastikverschmutzung kämpfen. Die Folgen sind verheerend. Etliche Meerestiere verenden an den Folgen der Plastikaufnahme und die Fischerei leidet massiv. Kleinfischer*innen berichten, dass inzwischen mehr Plastikteile als Fische in ihren Netzen landen. Der drastische Rückgang der Fischpopulationen und die zunehmende Verschmutzung der Gewässer stellen die Fischergemeinden vor existenzielle Probleme. Sie sind von wirtschaftlichen Verlusten und Verarmung bedroht.
Tödliche Fallen im Meer
Eine tückische Form des Abfalls sind im Meer treibende „Geisternetze“, die zur Falle für Meerestiere werden. In den Netzen verfangen, verenden die Tiere häufig elendig. Zudem verheddern sich Netze in Bootspropellern, was schwere Unfälle nach sich zieht. In Thailand, einem Land mit reicher mariner Biodiversität, sind die Auswirkungen der treibenden Todesfallen verheerend. Die Abteilung für Meeres- und Küstenressourcen des thailändischen Umweltministeriums geht in ihrem Jahresbericht 2022 davon aus, dass die größte Bedrohung für seltene Arten durch Meeresabfälle von verloren gegangenen oder zurückgelassenen Fangnetzen, Seilen und Weichplastikteilen ausging; im gleichen Zeitraum stammte in vier der fünf meist verschmutzten Provinzen der Großteil der auf Riffen gefundenen Abfälle aus der Fischerei.
Unsichtbare Bedrohung
Zurückgelassene, verlorene oder anderweitig weggeworfene Fischfanggeräte machen mittlerweile bis zu 50 Prozent des Plastikmülls im Ozean aus. Sie bedrohen die Meerestiere und -pflanzen und Küstengemeinschaften; zudem lösen sich winzige Fasern und verschmutzen als Mikroplastik die Meere.
Das Projekt „Net Free Seas“: Recycling alter Fischernetze
Das „Net Free Seas“-Projekt der EJF hilft, die Menge an Fischernetzen in den Weltmeeren zu reduzieren: Durch Aufklärungsarbeit wird das öffentliche Bewusstsein für die Küsten- und Meeresverschmutzung durch Plastik geschärft; gleichzeitig werden lokale Infrastrukturen aufgebaut sowie Handlungsempfehlungen für Verantwortliche auf Regierungsebene erarbeitet. Das Projekt entstand 2020, nachdem sich die thailändische Fischereibehörde an die Nichtregierungsorganisation gewandt hatte, die seit 2015 gegen illegale Fischerei und Menschenrechtsverletzungen in Thailand vorgeht. Untersuchungen der EJF zeichneten ein erschreckendes Bild der Ausweglosigkeit, in der sich die örtlichen Akteur*innen angesichts wachsender Müllfluten sehen. Viele Küstendörfer sind vom staatlichen Abfallmanagement ausgeschlossen. Kleinfischergemeinden sind gezwungen, sich selbst um die Entsorgung ausgedienter Fanggeräte zu kümmern – häufig werden diese vergraben, verbrannt oder im Meer zurückgelassen.
Ohne die Gemeinden vor Ort geht es nicht
Die EJF fand ein Recycling-Unternehmen, das zur Zusammenarbeit bereit war, und bat Fischer*innen und Anwohner*innen um Unterstützung, zurückgelassene Netze, Seile und Plastikteile zu sammeln und zu säubern – eine mühsame, zeitaufwendige Arbeit. Meterlange Netze werden von Kleinteilen befreit, gewaschen und getrocknet, bevor sie an die Recycling-Unternehmen verkauft werden, die das Material einschmelzen, um neue Pellets zu gewinnen. Diese arbeitsintensiven Tätigkeiten erfuhren von Beginn an eine angemessene Entlohnung.
Inzwischen läuft „Net Free Seas“ im vierten Jahr unter Beteiligung von zwei Recycling-Unternehmen. Über 20 Gemeindezentren (Community Centers) mit lokaler Koordination und über 500 Fischer*innen und Dorfbewohner*innen haben sich angeschlossen. Insgesamt konnten rund 117 Tonnen an Netzen und anderen Plastikteilen recycelt werden. Dadurch hat sich die Sauberkeit der Strände und Gewässer verbessert und es sind neue Einkommensmöglichkeiten für Fischer*innen und andere vulnerable Gruppen entstanden, was zu mehr Wohlstand und teils zu gestiegener sozialer Sicherheit führte.
Um das Projekt ist ein Ökosystem aus Akteur*innen entstanden, die das Konzept weiterführen und verstetigen. So haben sich Unternehmen angesiedelt, die Wertschöpfung aus recycelten Fischernetzen und -seilen betreiben. Darin zeigt sich der Erfolg des Projekts: die geschaffenen Strukturen funktionieren inzwischen selbständig und entwickeln sich unabhängig von der NGO-Arbeit weiter.
Neue Arbeitsplätze
Das „Net Free Seas"-Projekt begegnet der marinen Plastikflut mit einem Circular-Economy-Ansatz. Dorfbewohner*innen sammeln und säubern die Netze und Fischfanggeräte, bevor diese an Recyclingfirmen weiterverkauft werden. In den Fischergemeinden sind so neue Einkommensmöglichkeiten entstanden.
Herausforderungen: Gesetzliche Hürden und Bewusstseinsbildung
Trotz des Erfolgs von Initiativen wie „Net Free Seas“ stehen Thailand und andere betroffene Länder vor erheblichen Herausforderungen. Juristische Hindernisse, wie fehlende gesetzliche Verpflichtungen zum Recycling und niedrigere Preise von Neuplastik gegenüber recycelten Materialien erschweren die flächendeckende Umsetzung nachhaltiger Praktiken. Hinzu kommen ein Mangel an Kommunikation und politischem Willen, umfassende Lösungen zu finden.
Politische Instrumente wie das UN-Abkommen gegen Plastikverschmutzung, das 2024 verabschiedet werden soll, sind ein wichtiger Schritt, um globale Aufmerksamkeit in betroffene Regionen zu lenken und umfassende Standards zur Vermeidung sowie zum Management von Plastikmüll weltweit zu implementieren. Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) setzt sich für die Entfernung umhertreibender Fischereigeräte ein, doch es fehlt an Initiativen zur Entwicklung präventiver Lösungsansätze. Hinzu kommt, dass „Geisternetze“ häufig isoliert , sprich nicht als Teil des größeren Problems der Kunststoffverschmutzung betrachtet werden. Es wird übersehen, dass Fischereigeräte aus Kunststoffen bestehen, für die ein Management über den gesamten Lebenszyklus entwickelt werden muss.
Es fehlt bislang an Aufmerksamkeit und Druck, Lösungen im Umgang mit den verlorenen gegangenen und illegal entsorgten Netzen zu finden. „Net Free Seas“-Projektleiterin Salisa Traipipitsiriwat zufolge lässt sich dies mit Wissenslücken und fehlender Kommunikation zwischen Behörden begründen.
Der Weg nach vorn: Ein umfassender Ansatz
Eine Verbesserung ist mittels vielfältiger Maßnahmen erreichbar: die Förderung von umweltverträglichen Netzen, verbesserte Qualitätskontrollen und ein stärkeres Bewusstsein für die Notwendigkeit der Abfallvermeidung bei Produzent*innen sowie Verbraucher:innen sind entscheidend. Zudem bedarf es eines gesetzlichen Rahmens für das Lebenszyklus-Management von Fischereigeräten und eines engeren Austausches zwischen Behörden, um Wissenslücken im Umgang mit Kunststoffabfällen zu schließen. Das „Net Free Seas“-Projekt entwickelte zur Vermeidung sowie zum Management verlorener und weggeworfener Fischernetze, -seile und -gerätschaften konkrete Handlungsempfehlungen.
Bei den beteiligten Kleinfischergemeinden fand ein Bewusstseinswandel statt: das Wissen um den Materialwert der Netze und die Möglichkeit, ausgediente Gerätschaften in den Stoffkreislauf zurückzuführen und zu monetarisieren, hat den Umgang mit diesen verändert. Weniger Netze werden zurückgelassen. Diese ökonomischen Anreizsysteme müssen von dem politischen Willen flankiert werden, die Entstehung und Entsorgung von Plastikmüll in der Fischerei zu reglementieren.
Angesichts des Ausmaßes der Plastikverschmutzung und ihrer verheerenden Folgen ist die Einigung politischer Entscheidungsträger*innen auf das Ziel einer vollständigen Abkehr von Plastik entscheidend. Eine Alternative hat die EJF in Zusammenarbeit mit den thailändischen Behörden entwickelt: Im Rahmen des „Bottle Free Seas“-Projekts wurden an zentralen Orten in Bangkok kostenfreie Wasserauffüllstationen errichtet, um den Verzicht auf Einwegplastikflaschen zu erleichtern. Solche Lösungsansätze führen einen Wandel herbei, wenn sie politisch gefördert und breit ausgebaut werden. Dann haben wir als Weltgemeinschaft eine Chance, die globale Plastikkrise zu bewältigen und den Artenreichtum und die lebenserhaltenden Ökosystemdienstleistungen des Ozeans für zukünftige Generationen zu bewahren.
Der Artikel erschien beim Forum Umwelt & Entwicklung im Rundbrief 1/2024 „Ersticken wir im Plastik? Lösungen für ein globales Problem gesucht.“
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