Menschenrechte hängen von einer intakten Natur ab
Alle Bemühungen zur Verwirklichung von Menschenrechten werden zunichte gemacht, wenn wir uns nicht mit der Klima- und Biodiversitätskrise auseinandersetzen.
Im Oktober stimmte der UN-Menschenrechtsrat dafür, das Recht auf eine sichere, saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt als ein Menschenrecht anzuerkennen. Zu den Gegenstimmen gehörte unter anderem Großbritannien, das zwar dafür stimmte, aber betonte, dass kein Land rechtlich an die Bedingungen der Resolution gebunden sei. Vier Mitgliedsstaaten – China, Indien, Japan und Russland – enthielten sich der Stimme.
Diese Resolution war längst überfällig. Allein durch Luftverschmutzung sterben nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation jedes Jahr schätzungsweise 7 Millionen Menschen. Dennoch geht die Resolution nicht annähernd weit genug: Sie ist nicht rechtlich bindend und wurde bisher auch noch nicht in einen der über 70 Menschenrechtsverträge aufgenommen, die an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte angelehnt sind.
Das Konzept einer sicheren, nachhaltigen Umwelt geht außerdem weit über ein einzelnes Menschenrecht hinaus. Tatsache ist, dass all unsere grundlegenden Menschenrechte von intakten natürlichen Systemen abhängen – vom Recht auf angemessene Nahrung bis hin zu einem menschenwürdigen Lebensunterhalt und sogar dem Recht auf Leben.
Nach der Verabschiedung der Resolution sagte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet: „Es geht um den Schutz der Menschen und des Planeten – der Luft, die wir atmen, des Wassers, das wir trinken, der Lebensmittel, die wir essen. Es geht auch um den Schutz der natürlichen Systeme, die die Grundvoraussetzung für das Leben und die Lebensgrundlage aller Menschen sind, wo immer sie leben.“
Da hat sie recht. Und doch verschmelzen die beiden Krisen der biologischen Vielfalt und des Klimas weltweit zu einer ausgewachsenen Menschenrechtskrise.
Klima
Brände, Überschwemmungen und Stürme verwüsten die Welt und werden mit der zunehmenden Erderwärmung immer schlimmer. In den letzten zwei Jahren haben beispiellose Brände in Australien, Kanada, dem Mittelmeerraum, Brasilien, den Vereinigten Staaten und anderen Ländern Häuser und Gemeinden verwüstet und Not und Tod hinterlassen.
In der Hurrikan Saison 2020 folgte auf den Hurrikan Eta knapp zwei Wochen später der Hurrikan Iota, der insgesamt mehr als 7,5 Millionen Menschen in Mittelamerika traf und mindestens 200 Tote forderte. Doch die Auswirkungen der Klimakatastrophe sind nicht auf plötzlich auftretende Phänomene beschränkt. Nach einem vierten Dürrejahr erlebt Madagaskar derzeit die weltweit erste Hungersnot im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Mehr als eine Million Menschen sind jetzt auf Nahrungsmittelsoforthilfe angewiesen.
Die Klimakrise stellt bereits jetzt eine ernsthafte Beeinträchtigung der Menschenrechte auf der ganzen Welt dar. Sie zerstört Häuser und Lebensgrundlagen der Menschen und fordert unzählige Leben. Die Klimakrise ist aber auch ein Multiplikator von Bedrohungen, der bestehende wirtschaftliche, politische und soziale Spannungen verschärft und die Wahrscheinlichkeit von Gewaltkonflikten erhöht.
Ökosysteme
Neben dieser düsteren Realität steht die Welt vor dem sechsten Massenaussterben – dieses Mal durch den Menschen verursacht –, wobei die Rate des Artensterbens bereits jetzt zehn- bis hundertmal höher ist als in den letzten 10 Millionen Jahren. Im Jahr 2020 hat das UN-Übereinkommen über die biologische Vielfalt berichtet, dass wir alle 20 Ziele, die wir uns gesetzt haben, um den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen, verfehlt haben.
Auch hierdurch werden Menschenrechte gefährdet. Wenn wir beispielsweise durch zerstörerische und illegale Fischerei unsere Meere leer fischen, verlieren Küstengemeinden nicht nur ihre Lebensgrundlage, sondern auch ihre Ernährungssicherheit, da lebenswichtiges Protein immer knapper wird. Eine kürzlich durchgeführte EJF-Untersuchung zeigt, dass die grundlegenden Menschenrechte der ghanaischen Fischergemeinden, einschließlich des Rechts auf angemessene Nahrung, einen angemessenen Lebensstandard und gerechte Arbeitsbedingungen, bedroht sind, weil die Regierung es versäumt hat, gegen die Überfischung und den illegalen Fischfang durch industrielle Trawler in ausländischem Besitz vorzugehen. Mehr als die Hälfte der 215 Kanufischer, Verarbeiter und Händler, mit denen wir gesprochen haben, gaben an, dass sie im vergangenen Jahr nicht genügend zu essen hatten.
Und natürlich ist die Covid-19-Pandemie die jüngste Tragödie, die sich aus unserer zügellosen Ausbeutung der Natur ergibt. Mit der zunehmenden Umweltzerstörung kommen Tiere, die sich in freier Wildbahn nicht begegnen würden, in engen Kontakt mit anderen Arten – und mit Menschen. Diese Bedingungen sind ideal für das Auftreten neuartiger Viren.
Ungerechtigkeit
Wie ein roter Faden zieht sich die traurige Wahrheit durch diese Krisen, dass die ärmsten und schwächsten Gemeinschaften der Welt immer den höchsten Preis zahlen. Die Erderwärmung hat im letzten halben Jahrhundert zu einem Anstieg der Ungleichheit zwischen den Ländern um 25 % geführt, da die heißeren, ärmeren Länder am meisten unter den fehlenden bzw. nicht ausreichenden Maßnahmen der kühleren, reicheren Länder leiden. Die Weltbank schätzt, dass allein die Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 zusätzlich etwa 97 Millionen Menschen in die Armut getrieben hat.
Gleichzeitig existieren Initiativen, durch welche lokale Gemeinschaften und indigene Völker im Namen des Naturschutzes aus traditionellen Gebieten vertrieben werden. Bei solchen Initiativen wird die Bedeutung historischer Gebiete für die Kultur, die Geschichte und das Wohlergehen der Gemeinschaften oft völlig außer Acht gelassen. In unseren Bemühungen um den Schutz und die Wiederherstellung unserer natürlichen Umwelt müssen wir diesen Missbrauch grundlegender Menschenrechte verhindern und den Beitrag anerkennen, den diese Gemeinschaften zu einem wirklich wirksamen Naturschutz geleistet haben und leisten können.
Gleichheit und Fairness sind Mangelware in einer Welt, in der die grundlegenden Konzepte der Umweltgerechtigkeit ignoriert, verleugnet und umgangen werden. Um echte Umweltgerechtigkeit zu erreichen und die Zwillingskrisen der biologischen Vielfalt und der Klimakrise zu lösen, müssen wir unsere Verbindung zur Natur neu bewerten und ein für alle Mal erkennen, dass die Menschheit nicht außerhalb der natürlichen Welt existiert.
Wir müssen das Recht auf eine sichere, saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt zu einem universellen, rechtlich verbindlichen Menschenrecht machen. Die Vereinten Nationen müssen diese neue Erklärung in den bestehenden Verträgen verankern und sie dann auf nationaler und internationaler Ebene rechtsverbindlich machen. Wir sind in Bezug auf unsere Grundbedürfnisse und grundlegenden Menschenrechte vollständig von der Natur abhängig und wir alle haben eine Rolle dabei zu spielen, sie zu pflegen und zu schützen.
Dieser Blog erschien ursprünglich bei The Revelator und wird hier mit Genehmigung veröffentlicht.
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