Die Verzögerung eines UN-Hochsee-Abkommens ermöglicht die Ausbeutung und Zerstörung unserer Meere
Die derzeitige lückenhafte Verwaltung der Hohen See begünstigt die Zerstörung des Lebens im Meer: Wir brauchen dringend ein internationales Abkommen, um diese einzigartigen Ökosysteme zu schützen.
Fernab der Küsten, jenseits jeder nationalen Rechtsprechung, gehört die Hohe See allen und niemandem zugleich. Gesetzlosigkeit ist so ziemlich die einzige Regel, die hier existiert.
Momentan befasst sich eine Vielzahl internationaler Gremien und Abkommen mit den Aktivitäten, die auf Hoher See stattfinden, darunter Fischerei, Tiefseebergbau und Schifffahrt. Die Aufträge dieser unterscheiden sich jedoch stark und häufig überschneiden sich Zuständigkeitsbereiche. Unübersichtlichkeit und fehlende Transparenz wie diese begünstigen illegale Fischerei und Überfischung, gefährden das Leben im Meer und bedrohen sowohl die Lebensgrundlagen als auch die Ernährungssicherheit von Küstengemeinden.
Trotz jahrzehntelanger Debatten fehlt noch immer ein umfassendes Abkommen, das internationale Gewässer vor der Ausbeutung und potenziell irreversiblen Schäden schützt. Letzten Monat endete die vierte Verhandlungsrunde über ein neues UN-Abkommens zum Schutz der Hohen See zwischen den Mitgliedstaaten. Abermals kam es weder zu einer Einigung, noch wurde ein Zeitplan für weitere Diskussionen festgelegt.
Die quälend langsam voranschreitenden Gespräche hemmen Fortschritte beim Schutz unserer Meere. Je länger sich diese Verhandlungen hinziehen, desto mehr Meeresleben wird ausgelöscht.
Chaos und Grausamkeit
Im Zuge unserer Untersuchungen haben wir mit einer Vielzahl von Crewmitgliedern an Bord von Hochseefischereischiffen geredet. Sie können aus erster Hand davon erzählen, was auf Hoher See passiert. In Interviews erzählten uns hunderte Fischer*innen von grausamen, zerstörerischen und illegalen Praktiken, die ganze Ökosysteme dahinraffen.
Männer an Bord von Schiffen rund um den Globus berichten, dass Haien auf jeder Fangtour die Flossen abgetrennt wurden. Der restliche Körper wurde anschließend zurück ins Meer geworfen, wo die Tiere hilflos am Grund verenden. Diese grausame Praxis ist illegal.
Tatsächlich bestätigen fast alle Fischer, mit denen wir geredet haben, von dieser grausamen Praxis. „[Wir fingen] ungefähr 40-50 [Haie] am Tag. Wir nahmen nur die Flossen und schmissen den restlichen Körper weg,” sagte ein Crewmitglied eines chinesischen Schiffs. „Es gab einige Haie, deren Körper wir auch mitnahmen, aber nur wenige, und diese nutzten wir als Köder. Die meisten haben wir zurück ins Meer geworfen.”
Gefangen in einem Teufelskreis zerstörerischer Grausamkeiten, erzählen Besatzungsmitglieder auch davon, dass Delfine, die auf Bugwellen reiten, harpuniert und als Haiköder genutzt werden. Diese Praxis könnte eine ernsthafte, bislang unbekannte Bedrohung für die Tiere sein, da Delfinfleisch nie angelandet oder verkauft wird, sodass das Ausmaß der Tötungen niemals vollständig dokumentiert werden kann. In einem Fall zeigte uns die Crew Bilder, die zeigen, wie vermutlich eine ganze Schule von Kurzschnabeldelfinen gejagt und getötet wurde.
Die Grausamkeiten gehen allerdings noch weiter: In 2020 haben wir aufgedeckt, dass taiwanesische Fischereiflotten kleine Schwertwale fangen und enthaupten, um ihre Zähne zu entfernen und Ketten aus diesen zu machen. Diese Tiere sind von der Weltnaturschutzunion (IUCN) als gefährdet eingestuft. Die Besatzung dieser Schiffe berichtete auch von weiteren gezielten Fängen von Walen, Schildkröten und Delfinen.
Im gleichen Jahr deckten wir auf, dass koreanische Fischereiflotten illegalerweise Seerobben für ihre Zähne, Genitalien und ihre Innereien töten. Über den Zeitraum einer sechsmonatigen Fangtour fing ein einziges Schiff insgesamt 200 Seerobben.
Die Zeit wird knapp
Diese Bandbreite an grausamen und illegalen Praktiken beweist das Chaos und die Ausbeutung, die durch eine fehlende Regulierung der Hohen See möglich sind. Ohne ein solides UN-Abkommen für den Schutz der Hochsee, werden diese Verbrechen weiter anhalten.
Anfang des Jahres haben sich 100 Länder beim „One Ocean Summit“ im französischen Brest darauf geeinigt, 2022 ein UN-Abkommen zum Schutz der Hohen See zu verabschieden – diese Versprechen blieben bislang ohne konkrete Ergebnisse.
Wir brauchen dringend rechtliche Rahmenbedingungen für die Einrichtungen weitreichender Meeresschutzgebiete, um das Leben in unserem Ozean zu schützen und klare Richtlinien für die industrielle Fischerei festzulegen. Ein internationales, rechtsverbindliches Abkommen durch die Vereinten Nationen könnte der derzeitigen Vielzahl an unübersichtlichen und intransparenten Zuständigkeiten und Abkommen ein Ende setzen.
Mit jeder Minute, die wir abwarten, werden unsere Meere weiter zerstört und Ökosysteme steuern geradewegs auf einen Kollaps zu. Wir können diesen Zustand nicht weiter hinnehmen.
Die gegenwärtige bruchstückhafte Verwaltung der Hochsee begünstigt die Vernichtung des Lebens im Meer: Wir brauchen dringend ein internationales Abkommen zum Schutz dieser einzigartigen Ökosysteme.
Dieser Artikel erschien im Original bei Ecohustler und wird hier mit Erlaubnis erneut veröffentlicht.
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