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Neuer Bericht: „In den Abgrund? Wie Tiefseebergbau Menschen und unseren Planeten bedroht“
März 07, 2023

Neuer Bericht: „In den Abgrund? Wie Tiefseebergbau Menschen und unseren Planeten bedroht“

Von Environmental Justice Foundation Deutschland

Pressemitteilung – zur sofortigen Veröffentlichung

Berlin, 7. März 2023

Neuer Bericht: „In den Abgrund? Wie Tiefseebergbau Menschen und unseren Planeten bedroht“

  • Ab heute verhandelt die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) über die Zukunft der Tiefsee. Trotz erheblicher Forschungslücken über seine Auswirkungen könnte der kommerzielle Abbau von Mineralien am Meeresgrund im Juli 2023 beginnen.
  • Der neue Bericht der Environmental Justice Foundation (EJF) zeigt, dass Tiefseebergbau eine noch nie dagewesene Bedrohung für die empfindlichen Ökosysteme der Tiefsee darstellt und erhebliche Auswirkungen auf die Umweltgerechtigkeit hat.
  • Die EJF und Europe Calling veranstalten am 7. März um 18 Uhr ein Webinar zum Thema Tiefseebergbau. Sie können sich hier für die Veranstaltung anmelden.

Tiefseebergbau wird einzigartige, artenreiche Ökosysteme, die sich über Jahrtausende entwickelt haben, irreparabel beschädigen. Organismen an den Abbaustätten könnten mehrere Jahrzehnte oder Jahrhunderte brauchen, um sich zu erholen – manche Arten werden sich möglicherweise nie erholen.

Potenzielle Gewinne aus Tiefseebergbau werden ausschließlich einigen der weltweit größten Volkswirtschaften sowie den Aktionär*innen und Investor*innen einer Handvoll privater Bergbauunternehmen zugutekommen, obwohl der internationale Meeresboden das gemeinsame Erbe der Menschheit ist. Länder des Globalen Südens und vulnerable Gruppen werden die Hauptlast der Schäden, die Tiefseebergbau verursacht, tragen.

Trotz dieser Tatsachen und dem erheblichen Mangel an wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Tiefsee und ihre Bedeutung für die Klimaregulation, marine Nahrungsketten und die Tierwelt könnten Förderanträge für kommerziellen Tiefseebergbau bereits ab Mitte des Jahres 2023 eingereicht und genehmigt werden – ohne ein existierendes Regelwerk.

Verträge über die Rechte zur Erforschung der Tiefsee verteilen sich auf einige wenige Staaten. Sieben dieser Staaten besitzen fast zwei Drittel der 31 bisher vergebenen Verträge: China, Russland, Südkorea, Frankreich, Deutschland, Indien und Japan. Die flächenmäßig umfangreichste Lizenz für die Erforschung der Tiefsee hält China mit 18 % der Gesamtfläche. Zudem halten private Unternehmen nahezu die Hälfte der Explorationsverträge für Manganknollen – das begehrteste Mineral im Tiefseebergbau.

Für rund 52 % des Gebiets, das nach dem UN-Seerechtsübereinkommen (UNCLOS) Entwicklungsländern [developing countries] zusteht, besitzen Tochterunternehmen der kanadischen The Metals Company (TMC) die Explorationsrechte. Ähnliches ist zu beobachten bei dem jüngst genehmigten Vertrag der in Jamaika eingetragenen Blue Minerals Jamaica Ltd. – sie ist eigentlich eine Tochtergesellschaft einer Holdinggesellschaft, die mit der Schweizer Allseas Group verbunden ist und vom selben Verwaltungsrat geleitet wird. Das Gewinnverteilungssystem ist bislang nicht festgelegt, so die EJF, sodass unklar ist, inwiefern Länder des Globalen Südens von diesen Umständen profitieren.

Die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) ist als Verwaltungsorgan der Tiefsee untauglich und zeigt ein gravierendes Maß an Interessenskonflikten und intransparenten Entscheidungsprozessen. Durch seine Besetzungskriterien ist der Rat Tiefseebergbau tendenziös zugeneigt; ein Viertel der Sitze im ISA-Rat sind für Staaten mit Bergbauinteressen reserviert. Zudem würde die ISA direkt von den Einnahmen aus Tiefseebergbau profitieren, denn sie soll sich zukünftig über diese finanzieren.

Der Rechts- und Technikausschuss (LTC), der von diesem Rat gewählt wird, hat nahezu absolute Entscheidungsbefugnis über Bergbauverträge, doch nur etwa ein Fünftel der derzeitigen LTC-Mitglieder hat einen beruflichen Hintergrund in Disziplinen, die für den Schutz der Meeresumwelt relevant sind. Der neue EJF-Bericht deckt auch auf, wie der Ausschuss ein unter der Corona-Pandemie eingeführtes prozedurales Ausnahmerecht für „zeitkritische Angelegenheiten” missbrauchte, um einen Bergbautest der kanadischen The Metals Company (TMC) zu genehmigen, ohne vorher den Rat darüber zu informieren.

Steve Trent, Geschäftsführer (CEO) und Gründer der EJF: „Tiefseebergbau ist eine Frage der Umweltgerechtigkeit. Das Seerecht sollte den Ozean für das Gemeinwohl der Menschheit, insbesondere der Länder des Globalen Südens, erhalten. Die ISA ist dieser Aufgabe nicht gewachsen und lässt zu, dass das Streben nach Profit über der Gesundheit unseres Planeten und dem Wohlergehen der Menschen steht. Tiefseebergbau wird die Ökosysteme der Meere massiv beeinträchtigen, ohne dass wir die Folgen kennen. Mit dem Beginn der LTC-Sitzung beginnt das 28. Verhandlungsjahr [session] der Internationalen Meeresbodenbehörde – sie wird zweifellos wegweisend für die Zukunft des Ozeans sein.“

ENDE

Hinweise für Redakteur*innen

Lesen Sie den Bericht: „In den Abgrund? Wie Tiefseebergbau Menschen und unseren Planeten bedroht“

Empfehlungen der EJF an die internationale Gemeinschaft:

  • Kommerziellen Tiefseebergbau stoppen. Die internationale Gemeinschaft, insbesondere Regierungen und Unternehmen, sollten sämtliche Anstrengungen unternehmen, um den Abbau von Mineralien in der Tiefsee zu verhindern.

  • Aufstockung der Investitionen in Tiefseeforschung. Die internationale Gemeinschaft sollte die wissenschaftliche Erforschung der Tiefsee unterstützen und fördern, um unser Wissen über ihre Funktionsweise, ihre biologische Vielfalt und die von ihr erbrachten Ökosystemleistungen, einschließlich ihrer Rolle im Kohlenstoffkreislauf, zu verbessern.

  • Investitionen in und Umsetzung von Lösungen für eine effektive Kreislaufwirtschaft. Sowohl Regierungen als auch die Industrie müssen dringend zu einer wirklich nachhaltigen und kreislauforientierten Wirtschaft übergehen.

  • Reform der Internationalen Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority, ISA). Die Transparenz und Rechenschaftspflicht bei der Entscheidungsfindung in der ISA muss dringend verbessert werden, unter anderem durch den Zugang zu Informationen und Möglichkeiten für eine sinnvolle Beteiligung der Öffentlichkeit an den Beratungen ihres Rechts- und Fachausschusses (Legal and Technical Comission, LTC). Potenzielle Interessenkonflikte sind durch ein unabhängiges regelmäßiges Überprüfungsverfahren zu lösen. Zudem ist eine umfassendere Überarbeitung der ISA-Strukturen und -Verfahren erforderlich.

  • Schutz der biologischen Vielfalt in der Tiefsee. In Übereinstimmung mit Ziel 3 des Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework müssen die Regierungen bis 2030 mindestens 30 % der Meere – einschließlich der nationalen und Küstengewässer sowie der Hohen See – als ökologisch repräsentative, vollständig oder stark geschützte Meeresgebiete (MPAs) ausweisen und die notwendigen Ressourcen bereitstellen, um deren Überwachung und vollständige Durchsetzung zu gewährleisten.

Kreislaufwirtschaft

Trotz der ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Risiken, die Tiefseebergbau birgt, behaupten Befürworter*innen, dass er für die Versorgung mit Rohstoffen für den Übergang zu sauberer Energie notwendig sei. Anstelle eines linearen Wirtschaftsmodells nach dem Motto „nehmen, herstellen, verschwenden“ plädiert die EJF für eine geringere Nachfrage nach neuen Metallen, für die Entwicklung neuer Batterietechnologien und den Aufbau einer Kreislaufwirtschaft.

Wachsender Widerstand

Der Widerstand gegen Tiefseebergbau wächst: Regierungen, Parlamentarier*innen, Wissenschaftler*innen, Nichtregierungsorganisationen und private Unternehmen fordern einen Stopp von Tiefseebergbau in Gebieten außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit. Zu den wichtigsten Entwicklungen gehören:

  • Im September 2021 wurde auf dem Weltnaturschutzkongress der IUCN ein Antrag auf ein Moratorium für Tiefseebergbau mit fast einstimmiger Unterstützung angenommen. 81 Regierungen und Regierungsbehörden aus 37 Staaten stimmten für den Antrag.

  • Im Juni 2022 rief der Präsident von Palau auf der Ozean-Konferenz der Vereinten Nationen ein Bündnis ins Leben, das ein Moratorium für Tiefseebergbau fordert. Fidschi, Samoa und die Föderierten Staaten von Mikronesien haben sich dem Bündnis inzwischen angeschlossen.

  • Der französische Präsident Emmanuel Macron hat ein Verbot der Ausbeutung des Tiefseebodens gefordert, während Neuseeland, Deutschland, Costa Rica, Chile, Spanien, Panama und Ecuador ein Moratorium oder eine vorsorgliche Pause für Tiefseebergbau in internationalen Gewässern gefordert haben.

  • Die Europäische Kommission hat dazu aufgerufen, Tiefseebergbau zu verbieten, bis wissenschaftlichen Lücken geschlossen sind und die Meeresumwelt wirksam geschützt ist. Zudem hat das Europäische Parlament die EU-Mitgliedstaaten und die Kommission aufgefordert, ein Moratorium für Tiefseebergbau zu unterstützen.

  • Große Unternehmen wie BMW, Volkswagen, Volvo, Samsung, Philips und Google haben eine Erklärung unterzeichnet, in der sie ein Moratorium für Tiefseebergbau unterstützen und sich verpflichten, keine Metalle aus Tiefseebergbau zu verwenden, solange die Umweltrisiken nicht „gründlich erforscht“ sind.

  • Banken und Finanzinstitute haben sich den Forderungen nach einem Moratorium für Tiefseebergbau angeschlossen, darunter ABN AMRO, Lloyds Banking Group, Natwest, BBVA Bank, Standard Chartered und The European Investment Bank.

  • Mehr als 700 Meereswissenschaftler*innen und -politiker*innen aus über 44 Ländern haben eine Erklärung unterzeichnet, in der sie eine Pause für die Ausbeutung von Bodenschätzen empfehlen, bis mehr wissenschaftliche Informationen vorliegen.

  • Über 400 zivilgesellschaftliche Organisationen aus der ganzen Welt haben sich einer Initiative der Deep Sea Conservation Coalition (DSCC) angeschlossen, die ein Moratorium fordert.

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Webinar zu Tiefseebergbau – Zur Anmeldung

Am Dienstag, den 7. März 2023, veranstalten die Environmental Justice Foundation (EJF) und Europe Calling ab 18 Uhr ein gemeinsames Webinar zum Thema Tiefseebergbau.

Unsere Gäste:

  • Steffi Lemke, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz
  • Dr. Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz
  • Steven Trent, Geschäftsführer (CEO) und Gründer der Environmental Justice Foundation
  • Lisa Levin PhD, Scripps Institution of Oceanography, San Diego, USA, eine der führenden Expert*innen für die Erforschung des Tiefseebodens
  • Claudia Becker, Senior Expert Sustainable Supply Chain Management bei BMW