Wir müssen unsere Beziehung zur Natur wiederherstellen, um eine weitere Pandemie zu verhindern
Die Treibhausgasemissionen der großen Volkswirtschaften steigen rapide. Der Ozean erwärmt sich immer schneller. Unser Eingriff in die Natur ist massiv: Insgesamt sind heute eine Million Arten vom Aussterben bedroht. Und immer weniger merken wir, was wir eigentlich verlieren.
Zwischen 1970 und 2016 sind die durchschnittlichen Populationen von Säugetieren, Vögeln, Amphibien, Reptilien und Fischen weltweit um 68 % zurückgegangen. In den tropischen Subregionen Amerikas sind es sogar 94 %. Was wir heute als „normale“ Populationsgrößen ansehen, liegt erheblich unter ihrer historischen Größe. Vor mehr als einem Jahrzehnt schätzte der renommierte Wissenschaftler E. O. Wilson, dass jedes Jahr etwa 27.000 Arten verloren gehen: 74 pro Tag, 3 pro Stunde, viele davon nicht dokumentiert.
Auch während der Covid-19-Pandemie hat der weltweite Wildtierhandel Populationen weiter dezimiert. Forschenden zufolge ist inzwischen fast ein Fünftel aller Wirbeltierarten vom Handel betroffen. Das Problem ist im wahrsten Sinne des Wortes ein globales Netzwerk von planetarischem Ausmaß, das das Artensterben fördert, Leid verursacht und einen Nährboden für neue Pandemien schafft.
Covid-19 war nicht die erste Warnung vor dem Zusammenhang zwischen dem Wildtierhandel und dem Risiko für Pandemien. Seit den 1960er Jahren sind sieben neue Coronaviren von Wildtieren auf den Menschen übergesprungen. Der Ursprung von 75 % der neu auftretenden Krankheiten – Ebola, MERS, SARS und viele andere – liegt bei Tieren. 2003 prognostizierte eine von der Environmental Justice Foundation in Auftrag gegebene Studie, dass das Risiko dafür, dass in China eine weitere, bisher unbekannte Viruserkrankung durch den Kontakt zwischen Menschen und Wildtieren auftritt, erheblich sei.
Kommerzielle Wildtiermärkte sind nicht der einzige Ursprung für Krankheiten, die auf den Menschen überspringen können. Auch der Verlust von Lebensraum und die Abholzung von Wäldern bringen uns in engeren Kontakt zu Wildtieren. Doch Wildtiermärkte stellen aufgrund der hohen Anzahl der dort vertretenen Arten eine besonders ernste Bedrohung dar.
Je mehr Arten sich auf engem Raum tummeln, desto größer ist die Anzahl potenzieller neuer Krankheitserreger. Abgesehen davon kommen auf kommerziellen Märkten Arten miteinander in Kontakt, die sich in freier Wildbahn normalerweise nicht begegnen. So haben Viren eine größere Chance über einen Zwischenwirt einen Übertragungsweg auf den Menschen zu finden, der ohne ihn nicht möglich gewesen wäre.
Forschende sind zunehmend der Meinung, dass wir den kommerziellen Wildtierhandel nicht ernst genug nehmen. Auch wenn nicht alle Tiere, die auf kommerziellen Wildtiermärkten gehandelt werden, auch geschmuggelt werden, besteht die Möglichkeit, illegal gefangene Tiere, deren Arten legal gezüchtet werden können wie z. B. das Schuppentier, in legale Lieferketten überzuführen. Das erschwert die Arbeit derjenigen, die illegal gefangene Tiere aufspüren, enorm und treibt die Ausrottung von Wildtieren weiter voran.
Die anhaltende Ausbeutung der Natur durch den Menschen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Wildtierhandel und kommerziellen Wildtiermärkten, stellt eine Bedrohung durch mögliche künftige Krankheiten dar und ist mit hohen Kosten verbunden. Die Frage ist nicht, wie hoch der Preis ist, den wir für die Zerstörung der Natur zahlen müssen, sondern ob dieser Preis es wert ist. Die Antwort auf diese Frage ist ein klares Nein.
Menschen, deren Lebensunterhalt derzeit vom Wildtierhandel abhängt, sollten die nötige Unterstützung erhalten, um eine alternative Lebensgrundlage zu finden. Dabei sollten die wohlhabenderen Länder der Welt einen angemessenen Anteil zur Unterstützung dieses Wandels beisteuern. So gäbe es voraussichtlich lokal negative Auswirkungen auf das Einkommen Betroffener, doch wir müssen diese mit den fatalen Konsequenzen vergleichen, die wir tragen müssen, wenn wir untätig bleiben.
Zum jetzigen Zeitpunkt haben mehr als fünfeinhalb Millionen Menschen ihr Leben durch Covid-19 verloren, mit geschätzten wirtschaftlichen Kosten in Billionenhöhe. Die notwendigen Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens waren unglaublich teuer. Grenzschließungen haben für viele Menschen weitere Probleme verursacht. Wir sollten nicht tatenlos zusehen und hoffen, dass uns eine weitere Pandemie erspart bleibt. Wir brauchen einen grundlegenden Neustart unserer Beziehung zur Natur.
Staats- und Regierungschef*innen haben jedes einzelne Ziel, das sie sich 2010 für den Schutz der Natur und der Tierwelt gesetzt haben, verfehlt. Die breite Öffentlichkeit fordert ehrgeizige Maßnahmen, selbst in Ländern, die eine lange Tradition illegaler oder unregulierter Wildtiermärkte haben.
Bei der UN-Biodiversitätskonferenz COP15 in diesem Jahr müssen sich Staaten und Regierungen auf die nächsten Ziele einigen. Die Klimakrise und die Biodiversitätskrise sind eng miteinander verbunden. Wir können sie nicht unabhängig voneinander lösen. Die gute Nachricht ist, dass wir mit ehrgeizigen Maßnahmen nicht nur einen Kollaps natürlicher Ökosysteme abwenden, sondern auch zu einer blühenden, beeindruckenden natürlichen Welt beitragen, die unsere Gesundheit und unser eigenes Wohlergehen sichert.
Der kommerzielle Wildtierhandel kann auf gerechte und nachhaltige Weise beendet werden. Uralte Wälder, Korallenriffe, Graslandschaften und Flüsse können sich erholen, wenn wir es zulassen. Wir können die Abwärtsspirale aus Artensterben und Klimazusammenbruch hinter uns lassen – vorausgesetzt, wir stellen unsere Beziehung zur Natur wieder her.
Dieses Stück erschien im global° magazin und wird hier mit Genehmigung erneut veröffentlicht.
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